Berlin
Dunkle Wolken über Deutschlands Klimaschutzzielen

Vorgaben für Kohlendioxid-Minderung können nach Angaben aus dem Bundesumweltministerium nicht eingehalten werden

11.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:22 Uhr

Berlin (DK) Das Wort von Klima-Kanzlerin Angela Merkel steht auf dem Spiel. Im Wahlkampf hatte die CDU-Chefin der Zuschauerin einer TV-Wahl-Arena gesagt: "Wir werden Wege finden, wie wir bis 2020 unser 40-Prozent-Ziel einhalten. Das verspreche ich Ihnen!" Jetzt wird klar: Anspruch und Wirklichkeit klaffen dramatischer auseinander als vor dem 24. September vermutet: Statt dem Ziel von 40 Prozent CO2-Minderung bis 2020 gegenüber dem Wert von 1990 kann nur ein Rückgang von höchstens 32,5 Prozent erreicht werden, wenn nicht sofort nachgebessert wird. Noch vor einem Jahr galten 37 bis 40 Prozent als machbar.

Die Zahlen aus dem Bundesumweltministerium heizen die Debatte unter den potenziellen Jamaika-Koalitionären heftig an. "Wir brauchen jetzt den Kohleausstieg", machte Katrin Göring-Eckardt, Fraktionschefin der Grünen, gestern im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion Druck auf Union und FDP. Der CSU-Politiker und Wirtschaftsausschuss-Vorsitzende Peter Ramsauer hält massiv dagegen und bezweifelt die Berechnungsmethoden. "Selbst wenn es so wäre, müssten die Ziele hinterfragt werden", so Ramsauer gegenüber unserer Berliner Redaktion. "Wenn die Grünen nach dem Atomausstieg jetzt auch noch schnell aus der Kohle herauswollen, vergehen sie sich an unserer Wirtschaft. Das wäre auch ein entscheidender Stolperstein auf dem Weg nach Jamaika!"

Wie kommt es, dass die Bundesrepublik vom Klima-Vorreiter zum Sündenbock zu werden droht, ist doch der Stromanteil aus erneuerbaren Energien hierzulande Jahr für Jahr gestiegen? Das Hauptproblem: Die 98 Braun- und Steinkohlekraftwerksblöcke hierzulande produzieren unter Volldampf weiter, nur wird der Strom ins Ausland exportiert. Der Effekt: zusätzliche zehn Millionen Tonnen an Treibhausgas-Emissionen. Hinzu kommt: Bevölkerung und Wirtschaft wachsen, und damit auch der Stromverbrauch, was den CO2-Ausstoß um weitere zehn Millionen Tonnen steigert. Das Umweltministerium geht davon aus, dass die Einsparung von 12,5 Millionen Tonnen Treibhausgas Deutschland seinem Klimaziel um einen Prozentpunkt näherbringen könnte.

Deutliche Effekte hat auch der gestiegene Dieselabsatz bei Lastwagen und Pkw, sodass auch die Emissionen aus dem Verkehr deutlich anzogen. Wegen des niedrigen Ölpreises wird mehr Öl und weniger Gas zum Heizen verfeuert, auch das treibt die CO2-Bilanz nach oben. Unterm Strich befürchtet das Umweltministerium, statt der angestrebten 750 Millionen Tonnen würden in Deutschland 2020 sogar 844 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre gepustet.

Gut jede fünfte Kilowattstunde Strom, die in Deutschland verbraucht wird, ist Kohlestrom. Braunkohle hat einen Anteil von 11,1 Prozent am Energiemix, Steinkohle 11,2 Prozent. Laut aktueller Liste der Bundesnetzagentur gibt es in Deutschland 98 Kraftwerksblöcke, die aus Braun- oder Steinkohle Strom produzieren: 40 davon allein in Nordrhein-Westfalen. Von den Kraftwerksblöcken, die derzeit Kohlestrom liefern, wurden 65 vor 1990 in Betrieb genommen.

Würde man die 30 Kohle-Meiler mit den höchsten Emissionen abschalten, könnten 220 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Zum Vergleich: Theoretisch müsste Deutschland, um sein Klimaziel - 40 Prozent weniger Treibhausgas im Vergleich zum Jahr 1990 - bis 2020 noch zu erreichen, die Emissionen um knapp 94 Millionen Tonnen CO2 senken.