Berlin
"Die SPD hat sehr viel erreicht"

Andrea Nahles, Fraktionschefin der Sozialdemokraten, zum Sondierungsergebnis

15.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:57 Uhr

Andrea Nahles (SPD) lenkt angesichts des SPD-Parteitages am Sonntag den Blick auf die Errungenschaften der Partei in den Sondierungsgesprächen mit CDU/CSU: Stabilisierung des Rentenniveaus, Durchbruch beim Kita-Ausbau und Meister-Bafög. Es bringe nichts, das Ergebnis schlechtzureden.

Frau Nahles, wie groß ist Ihr Frust, dass in der SPD von der Basis bis zum Vorstand das Sondierungsergebnis kritisiert wird?

Andrea Nahles: Es war klar, dass bis zum Parteitag am kommenden Sonntag viel Überzeugungsarbeit vor uns liegt. Wir haben deutliche, ganz konkrete Verbesserungen für viele Menschen durchsetzen können. Von der Pflege und der Rente über die Bildung bis zur Arbeitsmarktpolitik hat die SPD sehr viel erreicht. Wir sollten aufhören, das Ergebnis schlechtzureden.

 

Aus Ihrer Partei werden Nachbesserungen bei der Arbeitsmarktpolitik oder beim Kampf gegen die Zweiklassenmedizin gefordert. Sehen Sie Chancen?

Nahles: Wir werden versuchen, für den Koalitionsvertrag alles rauszuholen, was möglich ist. Aber ich möchte keine Illusionen verbreiten: Die Union hat die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung massiv abgeblockt. Es gibt kaum jemanden, der das mehr bedauert als ich. Ich sehe nicht, wie wir diese verhärtete Position aufbrechen können, auch wenn wir es erneut versuchen. Es bringt auch nichts, nur die Punkte aufzuzählen, die wir nicht erreicht haben. Es ist ein Trugschluss, dass wir in Verhandlungen 100 Prozent SPD herausholen könnten. Aber wir haben 80 Prozent unserer Ziele durchgesetzt. Wenn man bedenkt, dass die SPD bei der Bundestagswahl 20,5 Prozent der Stimmen bekommen hat, ist das ein sehr beachtliches Ergebnis.

 

Wo genau sehen Sie die vielzitierten "Trophäen" der SPD?

Nahles: Das Rentenniveau wird auf heutigem Stand gesetzlich garantiert, das ist ein ganz wichtiges Signal. Bei der Grundrente für Geringverdiener sind die Verbesserungen stärker als von uns erhofft, weil auch Bestandsrentnerinnen und -rentner profitieren. Erstmalig soll es ein Klimaschutzgesetz mit ambitionierteren Zielen geben. Und es gibt eine Trendwende in der Europa-Politik.

 

Das Thema Pflege brennt den Menschen besonders unter den Nägeln. Was wird hier getan?

Nahles: Bei der Pflege konnten wir konkrete und klare Verbesserungen durchsetzen. Es wird mehr Pflege pro Patient in allen bettenführenden Stationen geben und zusätzlich ein Sofortprogramm von 8000 Pflegerinnen und Pflegern. Wir haben weitere wichtige Punkte auf dem Konto: ein Einwanderungsgesetz, die Abschaffung des Zusatzbeitrages bei den Krankenkassen, den nur die Arbeitnehmer zahlen müssen. Völlig untergegangen ist, dass wir künftig keine Waffen mehr an Saudi-Arabien liefern wollen, das einen brutalen Krieg gegen den Jemen führt. Die Liste ließe sich fortsetzen . . .

 

Geht es den Gegnern der großen Koalition in Ihrer Partei womöglich gar nicht um Inhalte?

Nahles: Es scheint einen harten Kern von Gegnern zu geben, der sich um die Jusos geschart hat. Sie müssen sich die Frage stellen: Was ist die ehrliche Alternative? Das sind Neuwahlen. Womit wollen die denn Wahlkampf machen, wenn all das, was wir in einer erneuten Groko jetzt durchsetzen könnten, nicht reicht? Von der Mindestausbildungsvergütung für Azubis bis zur Bafög-Reform haben wir auch Kernanliegen der Jusos mit der Union vereinbart und mit Geld unterlegt. Ich will jetzt umsetzen, was wir versprochen haben. Mir gilt der tatsächliche Fortschritt im Alltag mehr als die großen Worte. Die Jusos wollen die Fundamentalopposition. Das kann nicht die Linie der SPD sein.

 

Wird es Ihnen und Parteichef Martin Schulz gelingen, die Delegierten bis zum Parteitag am Sonntag von Koalitionsverhandlungen zu überzeugen?

Nahles: Natürlich melden sich gerade die Kritiker lautstark zu Wort. Das ist ihr gutes Recht. Aber das ist nach meiner Einschätzung nicht die Mehrheit - sehen sie beispielsweise nach Niedersachsen, dort wurde einstimmig zugestimmt. Ich bin mit Blick auf Sonntag optimistisch. ‹ŒDK

 

Die Fragen stellte Tobias Schmidt.