Berlin
Der Tag der "Kleinen"

FDP und Grüne suchen nach Gemeinsamkeiten für eine Jamaika-Koalition

19.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:20 Uhr

Berlin (DK) Erst einmal müssen beide Seiten ein wenig sticheln. "Die Grünen-Basis ist mir völlig egal, das müssen die Grünen mit sich selbst ausmachen", raunzt FDP-Vize Wolfgang Kubicki in die Kameras, bevor er am Donnerstagmittag zu Jamaika-Sondierungen mit den Spitzen der Ökopartei in das Gebäude der Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin verschwindet.

Zunächst gehe es ums Kennenlernen, "die FDP war die letzten vier Jahre ja nicht so oft in Berlin", frotzelt Grünen-Chef Cem Özdemir mit Blick auf die Zeit der außerparlamentarischen Opposition der Liberalen.

Nach den separaten Gesprächen der Union mit FDP und Grünen am Vortag treffen sich die Junior-Jamaikaner, loten Kubicki, Özdemir & Co. vor der ersten großen Runde am heutigen Freitag drei Stunden lang aus, was geht und was nicht. Warmlaufen für das Vierer-Treffen, die Suche nach Gemeinsamkeiten, um in einem möglichen Regierungsbündnis der Union Kontra zu bieten. Bahnt sich gar ein gelb-grüner Schulterschluss gegen CDU und CSU an? Es sei zwar noch "ein langer Weg", gibt Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner im Anschluss zu Protokoll. Aber sowohl FDP als auch Grünen sei klar: "Wenn es zu einer Regierung kommen würde, dann haben wir ein gemeinsames Interesse, dass wir nicht einfach den ausgetretenen Pfaden der Union folgen wollen."

Statt ums reine Beschnuppern ging es zwischen den "Kleinen" dann doch schon um Inhalte; eine "programmatische Lebendigkeit" stellte FDP-Generalsekretärin Nicola Beer hinterher fest. Es sei deutlich geworden, dass es beim einen oder anderen Thema noch "lange Wegstrecken" zu gehen gebe. Doch auch ihr Fazit fällt verhalten positiv aus: "Die Atmosphäre scheint mir geeignet, auch auszuloten, was dort weiter möglich sein könnte." Immerhin spricht daraus der ernsthafte Versuch, Jamaika eine Chance zu geben.

Im Wahlkampf hatten sich FDP und Grüne scharf attackiert, jetzt sollen sie zusammen regieren. "Das wird schwierig werden", sagt Özdemir, nennt die Themen Energie und Europa als die größten Trennlinien, die es zu überwinden gelte. So will die FDP vom Kohleausstieg und dem Aus für den Verbrennungsmotor nichts wissen, bei den erneuerbaren Energien die staatliche Förderung zurückfahren. Und während die Grünen für mehr Solidarität in der Währungsunion kämpfen, will die FDP Schuldenstaaten aus dem Euro werfen. "Es gibt mit den Grünen mehr Konfliktstoff als mit der Union", konstatiert Kubicki. Und das nicht nur inhaltlich: Die Marktliberalen um Porsche-Fahrer Christian Lindner und die Grünen, in denen Fundi Jürgen Trittin noch immer gerne das große Wort schwingt - eine große Liebe dürfte daraus nicht werden. In seinem gestern präsentierten Buch "Schattenjahre" attestiert FDP-Chef Lindner den Grünen zwar eine "moralische Überheblichkeit", kommt aber zu dem Schluss: Über die Parteigrenzen hinweg bestehe oft Einigkeit in den Zielen, "nur bei den Wegen gehen die Einschätzungen auseinander".

Damit es für eine Zweck-Ehe reicht, wurden gestern erst mal Überschneidungen gesucht. Bei den Bürgerrechten - Stichwort Widerstand gegen mehr Video-überwachung -, beim Ruf nach einer Digitalisierungsoffensive und mehr Bundesmitteln für die Bildung gebe es Gemeinsamkeiten, erklärt Grünen-Delegationsführerin Katrin Göring-Eckardt. Auch mit ihren Forderungen nach einem modernen Einwanderungsrecht könnten FDP und Grüne gemeinsam Druck auf CSU und CDU machen.

Beide eint überdies das Schicksal, sich als kleine Partner gegenüber der Union und der Kanzlerin behaupten zu müssen, die Sorge, "kaputtkoaliert" zu werden. Es könnte indes auch zu mehr Konkurrenz führen. Unvergessen ist bei der FDP noch die Häme der Grünen nach dem Ausscheiden der Liberalen aus dem Bundestag vor vier Jahren.

Heute Nachmittag setzen sich die Vertreter von CDU, CSU, FDP und Grünen erstmals an einen Tisch. Für kommende Woche sind dann zwei weitere Sondierungsrunden geplant. Spätestens Mitte November soll entschieden werden, ob die Gemeinsamkeiten groß genug sind, um Koalitionsgespräche zu starten.