Berlin
Der Jamaika-Marathon

Koalitions-Sondierung geht in die Schlussrunde Streit über Flüchtlingspolitik bis zur letzten Minute

15.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:12 Uhr

Foto: DK

Berlin (DK) "Ja, ich glaube, wir werden eine Koalition bilden:" CDU-Vize Julia Klöckner legt sich bereits fest. Sie glaubt, dass in der Nacht zum Freitag die Sondierungen abgeschlossen werden könnten. Countdown in Berlin zwischen Optimismus und Nervenschlacht.

Hier die Hoffnung auf den Durchbruch in den kommenden Stunden, dort die Skepsis, dass es am Ende doch noch scheitern könne zwischen Union, FDP und Grünen. Die Chancen seien von 80 Prozent auf "Fifty-Fifty" gesunken, warnt Grünen-Unterhändler Robert Habeck.

Vier Wochen dauert der Sondierungsmarathon von CDU, CSU, Liberalen und Grünen nun schon. Zwar gab es viele Fortschritte. Doch bei den großen Streitpunkten Klimaschutz, Verkehr, Landwirtschaft und vor allem Migration haben sich die vier Parteien verkeilt. Reicht die Zeit womöglich nicht, um am heutigen Abend mit der Endrunde im Jamaika-Poker zu beginnen, muss der große Showdown nochmal verschoben werden? "Das werden wir sehen", hieß es gestern in FDP-Verhandlungskreisen. Am Ende könne man auch noch einen Tag länger verhandeln, so die Liberalen.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Horst Seehofer droht die Choreografie zu entgleiten. Der bayrische Ministerpräsident will am Wochenende über seine eigene politische Zukunft entscheiden, die Kanzlerin hat den CDU-Vorstand für Freitag und Samstag zur Klausur geladen. Ohne Sondierungspapier in den Händen stünde sie blamiert da.

Nur "eine Handvoll" Kernforderungen seien noch übrig, gab sich Unions-Fraktionschef Volker Kauder verhalten zuversichtlich. Doch über genau die gleichen Kernforderungen wird seit vier Wochen gestritten. FDP-Chef Christian Lindner machte im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion klar: "Der Familiennachzug muss auf wenige individuelle Härtefälle beschränkt bleiben." Er sehe "keine Möglichkeit, den Grünen weiter entgegenzukommen", schloss er in der Flüchtlingspolitik die Reihen mit der Union. Und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt warf den Grünen vor, in der Verkehrspolitik "auf Ultraforderungen aus der Mottenkiste" zu beharren. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) wiederum attackierte in einem kleinem Wutausbruch Dobrindt und CSU-Generalsekretär Scheuer. "So geht es mal nicht weiter", sagte er mit Blick auf deren zahlreiche verbalen Angriffe auf die Grünen.

Nickeligkeiten, gegenseitige Vorwürfe und doch immer wieder Fortschritte in der Sache: So verständigten sich die Jamaika-Unterhändler auf das Ziel, 7500 zusätzliche Stellen für die Polizei in Bund und Ländern zu schaffen, weitere 2000 Stellen für die Justiz werden als notwendig erachtet. Bei der Erhöhung des Kindergeldes um 25 Euro pro Monat und dem Ganztagsanspruch für Grundschüler ziehen die Jamaikaner an einem Strang, und beim Breitbandausbau soll bis 2025 eine flächendeckende Geschwindigkeit von einem Gigabit pro Sekunde erreicht werden. Kleine Baustellen, die abgeräumt werden konnten, doch wie immer heißt es dabei: "Steht unter Finanzierungsvorbehalt."