Berlin
Aus der Traum

Martin Schulz erklärt seinen Verzicht auf Ministeramt nachdem ihm die SPD-Spitze ein Ultimatum gestellt hat

09.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:50 Uhr

Berlin (DK) Am Ende stehen 16 Zeilen. In acht knappen Sätzen begründet Martin Schulz am Freitag seinen Rückzug. Ende einer politischen Karriere. Noch am Mittwoch hatte er geglaubt, sich ins Außenministerium gerettet zu haben und angekündigt, SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles den Parteivorsitz überlassen zu wollen. Am Freitag dann, nur 36 Stunden später, das schnelle und überraschende Aus für Martin Schulz.

Gerade noch der große Gewinner der Koalitionsverhandlungen, steht er jetzt mit leeren Händen da. Der Druck war zu groß geworden. Die Parteispitze drängt ihn zum Verzicht. Durch die Diskussion um seine Person sehe er ein erfolgreiches Mitgliedervotum gefährdet, so Schulz am Freitag Nachmittag in einer schriftlichen Erklärung. "Daher erkläre ich hiermit meinen Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung." Kein Auftritt mehr vor den Kameras. Rückzug vom Parteivorsitz und kein Wechsel ins Auswärtige Amt. Vom Hoffnungsträger zum Hinterbänkler. Das SPD-Beben erreicht seinen Höhepunkt.

Die Parteispitze zieht die Notbremse, will verhindern, dass der Mitgliederentscheid über den schwarz-roten Koalitionsvertrag scheitert. Im Willy-Brandt-Haus, der SPD-Parteizentrale habe man am Freitag einen regelrechten Sturm der Entrüstung von Mitgliedern erlebt, die sich per Mail oder Telefon über Schulz' Zick-Zack-Kurs und seine Absicht, Sigmar Gabriel als Außenminister abzulösen, empört hätten, hieß es.

Vom Groko-Gegner zum Groko-Befürworter, vom kategorischen Nein zu einem Ministeramt zum Ja und dem Verzicht auf den Parteivorsitz - Schulz habe seine Glaubwürdigkeit verloren, sich mit seinen 180-Grad-Wenden ins Abseits manövriert und sei zu einer Belastung geworden. Mit seinem Rückzug leiste er einen notwendigen Beitrag dazu, die Glaubwürdigkeit der SPD zu stärken, erklärte der nordrhein-westfälische SPD-Chef Michael Groschek, der mit zu den "Königsmördern" gehört und hinter den Kulissen den Druck erhöht hatte. In der SPD-Spitze fürchtete man, dass die Personaldebatte die inhaltliche Diskussion über den Koalitionsvertrag überschatten und sich negativ auf den Mitgliederentscheid auswirken könnte.

Am Freitag dann jagt eine Krisenrunde der SPD-Spitze die nächste, schaltet sich das engere Führungspersonal der Genossen telefonisch zusammen. Es brodelt mächtig in der Parteispitze. Stunde für Stunde wächst der Druck. Schließlich folgen ein Misstrauensvotum und Ultimatum: Die Parteiführung habe ihn vor die Wahl gestellt: Entweder Schulz erkläre bis zum Nachmittag seinen Verzicht auf das Amt des Außenministers oder er werde öffentlich dazu aufgefordert, hieß es aus dem Präsidium. Die Landesverbände Nordrhein-Westfalen und Hessen hatten gedroht, ihn andernfalls am Montag in den Sitzungen von Präsidium und Vorstand per Antrag zum Rückzug aufzufordern. Schulz zögert, wartet in seinem Büro im Willy-Brandt-Haus, berät sich mit seinen engsten Vertrauten und zieht schließlich am Nachmittag die Konsequenzen.

Seit Wochen schon stand Schulz in der eigenen Partei unter Druck, waren Rufe nach seinem Rückzug laut geworden. Der Streit um das Außenminister-Amt und Schulz €˜ Pläne, den Posten des Chefdiplomaten zu übernehmen und Amtsinhaber und Vizekanzler Sigmar Gabriel zu beerben, hatten schließlich das Fass zum Überlaufen gebracht. Am Mittwoch hatte Schulz angekündigt, das Amt des Außenministers übernehmen und den Parteivorsitz an Fraktionschefin Andrea Nahles übergeben zu wollen. Entsetzen in der Partei über die Wende. Tags darauf hatte Gabriel seinem Ärger über den drohenden Jobverlust mächtig Luft gemacht, mit Schulz und der Partei abgerechnet. Nun wird spekuliert, ob Gabriel das Ministeramt doch behalten kann. Oder hat er sich mit seiner Abrechnung ins Abseits manövriert? Die Personaldebatte in der SPD geht munter weiter.