Berlin
Atomstrom

13.04.2012 | Stand 03.12.2020, 1:36 Uhr

Berlin (DK) In Deutschland werden Kernkraftwerke abgeschaltet, doch europäische Nachbarn wollen Atommeiler und Nuklearstrom sogar noch zusätzlich fördern: Bei der EU-Kommission in Brüssel werben Großbritannien, Frankreich, Polen und Tschechien für eine Gleichstellung der Atomkraft mit Solar- und Windenergie als emissionsarm und klimafreundlich. „Die Bundesregierung muss sich neuen Privilegien für die Atomindustrie klar entgegenstellen“, fordert Ulrich Kelber, SPD-Fraktionsvize im Bundestag.

Doch die Regierung, die sich eigentlich die Energiewende auf die Fahnen geschrieben hat, druckst noch herum: „Ich möchte dazu keine Stellung nehmen“, sagte Vize-Regierungssprecher Georg Streiter gestern. Die Meinungsbildung sei „noch nicht abgeschlossen“, ließ das Bundesumweltministerium erklären.

Alle vier Länder planen oder bauen neue Atomkraftwerke. Sie führen die Klimaziele der Europäischen Union zur Begründung ihrer Forderung an. Bis 2050 soll der Umstieg auf emissionsarme Anlagen erfolgen. Das müsse „technologieneutral“ erfolgen, verlangen sie. Im Klartext: Atomstrom soll das Siegel „klimafreundlich“ erhalten, damit die Länder den Bau von Atommeilern subventionieren und auch Einspeisevergütungen für Atomstrom ins Stromnetz zahlen könnten. „Das ist das Eingeständnis, dass Atomstrom selbst mit den bisherigen massiven Subventionen keine Zukunft mehr hat“, folgert SPD-Umweltexperte Kelber. Dabei werde die Stromerzeugung aus Kernkraft bereits gefördert: In Frankreich und Tschechien etwa müssten die Atomkonzerne nicht einmal Rückstellungen für Endlager bilden. Die Umweltorganisation Greenpeace sieht in dem Begehren der vier Länder „ein trojanisches Pferd der Atomstaaten“.

Würde Strom aus Nuklearerzeugung im Ausland mit Milliarden Euro gefördert, könnte das zu einem Aufschwung für die Atomkraft führen. Zusätzlich subventionierter Atomstrom würde eine Energiewende andernorts erschweren, so die Kritiker. In Großbritannien, wo die Regierung den Bau von vier neuen Kernkraftwerken plant, stocken die Vorhaben. Angesichts der unsicheren Zukunft der Kernenergie haben sich auch die deutschen Energieriesen Eon und RWE zurückgezogen. Neue Anreize könnten gesetzt werden, wenn die Atomkraft für besonders förderungswürdig erklärt würde. Der nächste Energierat – das Treffen der Energieminister der EU-Staaten – soll am 15. Juni über Schlussfolgerungen aus dem Energiefahrplan der EU-Kommission beraten. Ende Juni sollen die Staats- und Regierungschefs in Brüssel über die Regelung entscheiden.

Bis dahin will EU-Energiekommissar Günther Oettinger „verschiedene Optionen“ diskutieren und eigene Vorschläge vorlegen, auch zum Ausbau der erneuerbaren Energien. Die Bundesregierung hält sich weiter bedeckt: Man kenne die Briefe der vier EU-Nachbarn nicht. „Bekanntermaßen haben sie eine andere Haltung zur Kernenergie“, erklärte ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums. Die Sozialdemokraten vermuten, dass die großen Energiekonzerne in Deutschland nicht mit einem klaren Nein zu Privilegien für die Atomindustrie verprellt werden sollen.