Berlin
Klagewelle gegen Asylbescheide

Streit wegen Entscheidungsstau bei den Verwaltungsgerichten entbrannt

18.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:28 Uhr

Berlin (DK) Land unter in den deutschen Verwaltungsgerichten: Schon lange sind die Justizbehörden wegen Klagen gegen Asylbescheide überlastet, doch wächst die Last immer stärker an. Die Zahl der Flüchtlinge, die die Ablehnungen vor Gericht anfechten, ist in diesem Jahr noch einmal deutlich gestiegen. 146 000 Klagen gingen bis Ende Mai ein. In den Gerichten stapeln sich inzwischen mehr als 280.000 Fälle. Und in nur knapp 40.000 Fällen wurde von Januar bis Mai entschieden - gut die Hälfte der Flüchtlinge bekam recht.

Der Deutsche Richterbund schlägt Alarm: Die Arbeitsbelastung an den Gerichten sei "dramatisch gewachsen", sagt der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, Sven Rebehn, gestern im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion. Es sei absehbar, dass sich die Verfahren erheblich in die Länge ziehen werden.

Was tun, um die Überlastung abzubauen und für kurze Verfahren zu sorgen? Bei der SPD sieht man die Bundesländer am Zuge, das Justizpersonal aufzustocken. "Nachdem es gelungen ist, den massiven Antragsstau beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit zusätzlichem Personal zu bewältigen, sind jetzt die Bundesländer in der Pflicht: Diese müssen ihre Verwaltungsgerichte personell so aufstocken, dass Asylverfahren beschleunigt bearbeitet werden können und es nicht bei anderen Verfahren zu massiven Verzögerungen kommt", so Burkhard Lischka, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, gestern gegenüber unserer Berliner Redaktion.

Das alleine reicht der Union nicht aus. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) fordert eine Angleichung des Verfahrensrechts für asylrechtliche Klagen auf EU-Ebene. "Damit hat er vollkommen recht", stellte sich Stephan Mayer (CSU), innenpolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, gestern hinter de Maizière. "Deutschland darf nicht deshalb besonders attraktiv für Migranten sein, weil man selbst nach einem anlehnenden Bescheid durch Verfahrensverzögerungen und Verfahrensverschleppungen seinen Aufenthalt in die Länge ziehen kann", so Mayer weiter.

Auch Sven Rebehn vom Richterbund sieht die Politik in der Pflicht. Die neue Bundesregierung müsse "rasch prüfen, ob sich das Prozessrecht so vereinfachen lässt, dass gleich gelagerte tatsächliche oder rechtliche Fragen schneller einer Grundsatzentscheidung zugeführt werden können".

Eine Beschneidung der Klagemöglichkeiten als Ausweg - für die Linksfraktion ist das genau die falsche Richtung. Es seien "politische Vorgaben" gewesen, die zu der Überlastung führten, sagte Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, gestern im Gespräch mit unseren Berliner Korrespondenten. Bei den Verwaltungsgerichten stapelten sich die Akten, "weil afghanische Asylsuchende mit dem falschen Hinweis auf angeblich sichere Gebiete reihenweise abgelehnt werden". Für Zehntausende Klagen sorge auch, dass vielen syrischen Flüchtlingen nur begrenzter Schutz gewährt und ihnen der Familiennachzug deswegen verwehrt werde. "Die Abschreckungspolitik der Bundesregierung steigert die Bürokratie in den Behörden und Gerichten", beklagte Jelpke.

Die Flüchtlingspolitik bleibt Streitthema, und dabei geht es auch um den Familiennachzug. Die Zahl der Visa, die das Auswärtige Amt für den Nachzug von Ehepartnern oder Kindern im ersten Halbjahr ausgestellt hat, betrug gut 60.000. Im gesamten Vorjahr waren es 100.000. "Ich sehe die Zunahme des Familiennachzugs sehr kritisch, vor allem weil wir keinen Einfluss auf die Größenordnung und die Zusammensetzung haben. Es ist dringend erforderlich - anders als von der SPD, den Grünen und den Linken gefordert -, den Familiennachzug zu den subsidiär schutzberechtigten Flüchtlingen über den März 2018 hinaus auszusetzen", so Innenpolitiker Mayer.