Berlin
Abschlusszeugnis für die Bundesregierung

18.07.2017 | Stand 02.12.2020, 17:46 Uhr

Heute trifft sich das Bundeskabinett zu seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause. Wenige Tage noch, dann heißt es Ferienbeginn für Angela Merkel und ihre Minister. Bis zur Wahl am 24. September läuft der Betrieb in den Ministerien auf Sparflamme. Zeit für das Abschlusszeugnis der schwarz-roten Regierung. Das Fazit fällt durchwachsen aus.

Berlin (DK) Einige Minister sind bereits im Urlaub, andere sitzen schon auf gepackten Koffern: Der Berliner Politbetrieb bereitet sich auf die Sommerpause vor - gleichzeitig kommt der Wahlkampf allmählich auf Touren. Zeit für eine Bilanz der Regierungsarbeit: Wie haben die Kanzlerin und ihre Minister sich geschlagen? Gewinner und Aufsteiger der zu Ende gehenden Legislaturperiode sind vor allem zwei Regierungsmitglieder: Sigmar Gabriel, der nach seinem Verzicht auf SPD-Vorsitz und Kanzlerkandidatur als Chefdiplomat aufblüht, in Beliebtheitsrankings plötzlich ganz vorne mit dabei ist, das Land ebenso souverän repräsentiert wie Vorgänger Frank-Walter Steinmeier, der inzwischen das Amt des Bundespräsidenten übernommen hat. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bleibt Vordenker und Dreh- und Angelpunkt im Kabinett, ganz gleich, ob es um die Eurokrise, Flüchtlingsfragen oder die Brexit-Debatte geht.

 

ANGELA MERKEL

Note 2 -

 

Angela Merkel macht es ihrem Außenminister nicht immer leicht. Die Bundeskanzlerin übernimmt die großen Auftritte auf der weltpolitischen Bühne häufig lieber selbst. Das tägliche Berliner Regierungsgeschäft lief da häufig geradezu nebenher. Die CDU-Chefin spielt ihre Routine aus, gibt sich auch bei persönlichen Attacken gelassen. Im zwölften Jahr ihrer Kanzlerschaft erreicht Merkel wieder Beliebtheitswerte wie vor der Flüchtlingskrise, hat in der Migrationsfrage eine Kehrtwende vollzogen. Nun setzt sie auf einen Wohlfühl-Wahlkampf und beansprucht auch SPD-Erfolge wie den gesetzlichen Mindestlohn für sich.

 

SIGMAR GABRIEL

Note 2

 

Früher Wirtschafts-, jetzt Außenminister: Sigmar Gabriel macht auf den roten Teppichen der Welt eine gute Figur. Ob in New York, Riad, Peking, Brüssel oder Moskau - der SPD-Politiker kann nicht nur poltern, sondern beherrscht auch die Sprache der Diplomatie. Der 57-Jährige SPD-Politiker ist Vizekanzler geblieben, pen-delt zwischen Kabinettsdisziplin und Wahlkampf-Rhetorik. Auch wenn er in Hamburg mitverhandelte: Nach dem G 20-Gipfel holte Gabriel zum Rundumschlag gegen die Kanzlerin aus und warf der Union ein "perfides Spiel" im Wahlkampf vor.

 

ANDREA NAHLES

Note 2 -

 

Gewinnerin im Kabinett Merkel ist auch Arbeitsministerin Andrea Nahles. Obwohl Neuling im Regierungsamt, paukte die SPD-Politikerin die Rente mit 63 und den Mindestlohn gegen den Widerstand der Wirtschaft und von Teilen der Union durch. Zuletzt hat sie viele Großprojekte von der Flexi-Rente bis zur Reform der betrieblichen Vorsorge durchs Parlament gebracht. Mit ihren Plänen für einen Rechtsanspruch auf Rückkehr von Teil- in Vollzeitbeschäftigung scheiterte Nahles aber am Widerstand der Union. Mit ihr dürfte auch in Zukunft noch zu rechnen sein.

 

URSULA VON DER LEYEN

Note 3 -

 

Die wohl größte Überraschung bei der Aufstellung der Regierungsmannschaft vor vier Jahren war Ursula von der Leyen für das Amt der Verteidigungsministerin. Der CDU-Frau eilte der Ruf voraus, dass sie sich jede Aufgabe zutraut und nach Höherem strebt. Inzwischen hat sie viel in der Truppe verändert - ob es nun um Kasernen, Personal und Ausstattung geht. Doch dann kamen Pfullendorf, Sondershausen, Bad Reichenhall und schließlich der Fall Franco A.: Berichte über rechtsextremistische Umtriebe, Gewalt- und Sex-Rituale in der Bundeswehr. Von der Leyen attestierte der Truppe "ein Haltungsproblem" und "Führungsschwäche". Auch wenn sie schnell wieder zurückruderte: In der Truppe kamen die Äußerungen gar nicht gut an.

 

WOLFGANG SCHÄUBLE

Note 2 +

 

Wolfgang Schäuble ist der erste Finanzminister seit 1969, dem es gelungen war, einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorzulegen und ohne Neuverschuldung auszukommen. Der "König der schwarzen Null", die er in Serie schafft, kann sich über gute Konjunktur und hohe Steuereinnahmen freuen. Der Platz in den Geschichtsbüchern ist dem CDU-Mann als Architekt des Einheitsvertrages ohnehin sicher. Der erfahrene und gewiefte Polit-Stratege ist nun wieder die große Stütze der Union im Bundestagswahlkampf und sieht im Haushalt einen Entlastungsspielraum von 15 Milliarden Euro.

 

THOMAS DE MAIZIÈRE

Note 3 -

 

Bundesinnenminister Thomas de Maizière tat sich nach seiner Rückkehr aus dem Verteidigungsministerium schwer und wurde von der Flüchtlingsproblematik kalt erwischt. Kanzlerin Merkel degradierte ihn, machte das Thema zur Chefsache und ernannte Kanzleramtsminister Peter Altmaier zum Flüchtlingskoordinator. Inzwischen ist der CDU-Mann vor allem mit dem Anti-Terror-Kampf beschäftigt. Die Rolle als möglicher Thronfolger Angela Merkels ist der CDU-Mann bis auf Weiteres erst einmal los.

 

HEIKO MAAS

Note 3

 

Bundesjustizminister Heiko Maas setzte vor allem Akzente im Kampf gegen Rechtsextremismus und die AfD. Nachdem er gleich nach Amtsantritt nicht nur beim Thema Vorratsdatenspeicherung auf Distanz zur Union gegangen war, wurde es ruhiger um den SPD-Politiker. Für Aufsehen sorgte zuletzt sein Vorstoß, Facebook & Co. dazu zu bringen, Hass-Beiträge in den sozialen Netzwerken zu löschen. Trotz schwerer Bedenken: Die Union stimmte dem Gesetz im Bundestag schließlich zu. Aus seinen Möglichkeiten als Verbraucherschutzminister macht Maas viel zu wenig.

 

BRIGITTE ZYPRIES

Note 3 -

 

Erst Ende Januar 2017 hat Brigitte Zypries das Chefbüro im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bezogen - dort ersetzte sie ihren Parteifreund Sigmar Gabriel. Die 63-Jährige ist eine erfahrene Frau der Exekutive. Auch wenn ihr die Wirtschaftsverbände gute Arbeit bescheinigen, sie tief in den Themen ihres Hauses drin ist: Anders als ihr Vorgänger Gabriel ist Zypries, die im Herbst aus dem Bundestag ausscheidet, in der Öffentlichkeit kaum präsent.

 

BARBARA HENDRICKS

Note 3 -

 

Barbara Hendricks führt mitunter ein Schattendasein in der Regierung. Dabei böte ihr das Umweltministerium ausreichend Chancen, zu gestalten und zu punkten, schließlich ist die SPD-Politikerin auch für Naturschutz, Bauen und Reaktorsicherheit zuständig. Inzwischen kann sie auf einige Erfolge verweisen, etwa die Erhöhung des Wohngeldes und der Mittel für den sozialen Wohnungsbau. Ihre Kampagne ("Die neuen Bauernregeln") für nachhaltige Agrarwirtschaft brachte ihr den Zorn vieler Landwirte ein.

 

MANUELA SCHWESIG

Note 2 -

 

Die umtriebige SPD-Frau führte das Familienressort bis zu ihrem Wechsel als Ministerpräsidentin nach Schwerin engagiert, war gerade am Anfang schnell vorgeprescht, versuchte dann, mit Elterngeld Plus und Frauenquote zu punkten. Nach der Geburt von Töchterchen Julia und kurzer Babypause gehörte Manuela Schwesig wieder zu den Aktivposten der SPD-Minister. Eine Zwei minus für die frühere Familienministerin. Nachfolgerin und Parteifreundin Katarina Barley muss sich ein eigenes Profil erst noch erarbeiten.

 

ALEXANDER DOBRINDT

Note 4 +

 

Gemischt fällt die Bilanz von CSU-Mann Alexander Dobrindt aus. Am Selbstbewusstsein fehlt es dem Vertrauten von Parteichef Horst Seehofer allerdings nicht. Der umstrittene Pkw-Maut-Gesetzentwurf wurde von Brüssel zunächst gestoppt, Ende 2016 gelang dem Bundesverkehrsminister schließlich der Coup. Er einigte sich mit der EU-Kommission auf Änderung. Die Maut soll nächstes Jahr kommen. In der Diesel-Abgasaffäre wirkte Dobrindt eher wie ein Konzernsprecher denn als Interessenwahrer der Betroffenen. Beim Thema Digitales hat Dobrindt mit einem Milliarden-Programm für mehr Tempo beim Breitband-Ausbau gesorgt.

 

CHRISTIAN SCHMIDT

Note 4 +

 

Von Landwirtschaftsminister Christian Schmidt gibt es viel zu wenig Akzente. Dem CSU-Mann fehlt eine große Agenda jenseits des Tagesgeschäftes. Den Milchbauern hat er mit einem Programm mit mehreren 100 Millionen Euro zwar geholfen. Eine schlüssige Agenda für die Landwirtschaft der Zukunft ist bei ihm jedoch nicht zu erkennen, oft verkämpft er sich in Streitigkeiten mit Umweltministerin Hendricks, etwa über den Fleischkonsum der Deutschen.

 

GERD MÜLLER

Note 2

 

Gerd Müller scheint seinen Traumjob gefunden zu haben. Der CSU-Politiker stürzte sich in die Arbeit als Entwicklungsminister und überrascht Freund und Feind mit seinem Engagement für Flüchtlinge und die Dritte Welt. Müller wird auch in den Reihen der SPD und der Opposition geschätzt. Früh hatte er bereits auf das Flüchtlingsthema und die katastrophale Entwicklung in Syrien hingewiesen und gewarnt. Jetzt macht er Druck für mehr Hilfen in Afrika, hat dafür einen "Marshall-Plan" entworfen.

 

JOHANNA WANKA

Note 3 -

 

Bildungsministerin Johanna Wanka bleibt unter den Möglichkeiten, die ihr Ressort bietet. Zwar steht für ihren Etat so viel Geld zur Verfügung wie nie zuvor. Doch verstrickt sie sich in Kämpfe um Zuständigkeiten mit den Ländern. In in der Öffentlichkeit ist sie kaum wahrnehmbar. Immerhin ist es ihr gelungen, deutlich mehr Geld für Bildung und Forschung zu bekommen und eine Bafög-Reform auf den Weg zu bringen.

 

HERMANN GRÖHE

Note 3 +

 

Hermann Gröhe hat als Gesundheitsminister einen undankbaren Job. Keiner seiner Vorgänger hat die Leistungen für Kranke und Pflegebedürftige so stark ausgebaut wie der Merkel-Vertraute. Geschickt versteht es Gröhe, die Gesundheitspolitik aus öffentlichem Streit herauszuhalten. Dabei kommt ihm zugute, dass die Kassen finanziell so gut dastehen wie lange nicht. Doch der nächste Ausgabenanstieg kommt bestimmt - nach der Wahl.

 

PETER ALTMAIER

Note 2

 

Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) muss für Angela Merkel den Laden zusammenhalten, den Feuerwehrmann spielen. Der joviale Saarländer gilt als wandelnder Vermittlungsausschuss und großer Kommunikator. Der Regierungsmanager im Hintergrund hat bisher ordentliche Arbeit abgeliefert - und nebenher auch noch von CDU-Generalsekretär Peter Tauber die Aufgabe übernommen, das Wahlprogramm der Union zu formulieren.