Augsburg
''Sprengstoff im Herzen des Islam''

Der Politologe Hamed Abdel-Samad hat ein Buch über den Koran geschrieben. Im Interview erklärt er, warum Terroristen sich zu Recht auf die Heilige Schrift berufen können und warum er dennoch eine tiefe emotionale Beziehung zu den Suren empfindet.

02.11.2016 | Stand 02.12.2020, 19:06 Uhr

Foto: DK

Augsburg (DK) Es sollte ein Gespräch über sein neues Buch werden: "Der Koran. Botschaft der Liebe. Botschaft des Hasses". Aber Hamed Abdel-Samad gingen andere Themen im Kopf herum. Er war verbittert, weil politisch linksliberale Kreise ihn plötzlich in die rechtradikale Ecke stellen möchten. Dass man es ablehnt, überhaupt mit ihm zu reden, dass man Diskussionsveranstaltungen absagt und behindert. Der Politikwissenschaftler vermutet, dass die Ablehnung, die ihm entgegenschlägt, mit seinem Auftritt kürzlich bei einer Veranstaltung der AfD zusammenhängt. Aber ihm geht es nur darum, auch mit diesen Menschen zu reden, wählen würde er diese Partei niemals. Abdel-Samad ist wütend, er spricht von "Meinungsdiktatur" gerade auch, weil er die linksintellektuellen Kreise als seine politische Heimat empfindet. Im Interview versucht er zu analysieren, warum der Geist der Freiheit in die Defensive gerät.

 

Herr Abdel-Samad, bei der Buchmesse im vergangenen Jahr mussten Sie mit Personenschutz und kugelsicherer Weste auftreten, immer wieder bekommen Sie Morddrohungen. Wie sieht derzeit Ihre Sicherheitslage aus?

Hamed Abdel-Samad: Da hat sich nichts verändert, seit vor einem Jahr meine Mohamed-Biografie herausgekommen ist.

 

Eigentlich sind Sie aus Ägypten emigriert, um frei und sicher zu leben. Und nun sind Sie wieder bedroht. Woher nehmen Sie Ihren Mut?

Abdel-Samad: Ich habe mich entschlossen, ein freies Leben zu führen. Und wenn mich andere daran hindern, dann macht mir das keine Angst, es bestätigt mich eher. Ja, mein Leben ist sehr eingeschränkt, es ist bedroht. Aber ich bin nach wie vor frei im Geist, und ich kann sagen, was ich will. Leider aber nicht mehr überall.

 

Was meinen Sie damit?

Abdel-Samad: Nicht mehr nur Islamisten versuchen mich zum Schweigen zu bringen, sondern auch Teile der linksliberalen Öffentlichkeit, die das rechtsradikale Lager fürchten.

 

Wie kommen Sie darauf?

Abdel-Samad: In den vergangenen vier Wochen gab es gleich vier niederschmetternde Entscheidungen. Ein Verlag in Frankreich, der mein neues Koran-Buch am 16. September herausbringen wollte, hat die Veröffentlichung abgelehnt aus Angst vor Terroranschlägen. Die Stadt Dortmund hat mich bei einer Veranstaltung wieder ausgeladen. Angeblich aus Sicherheitsgründen. Und: Die Uni Augsburg, an der ich studiert habe und die mich 2001 als besten ausländischen Studenten ausgezeichnet hat, hat eine Veranstaltung mit Studenten abgesagt, weil ich auf einer Veranstaltung der AfD gesprochen habe. Die Uni München, wo ich jahrelang islamische und jüdische Geschichte gelehrt habe, will mir jetzt keine Räume zur Verfügung stellen mit der lächerlichen Begründung, man unterstütze keine weltanschaulichen Veranstaltungen. Diese Leute kennen meine Rede bei der AfD nicht, sie wissen nicht, dass ich die Partei dort sehr hart kritisiert habe. So weit sind wir bereits in der Meinungsdiktatur gekommen.

 

Übertreiben Sie nicht?

Abdel-Samad: Es ist ermüdend und enttäuschend, wenn gerade die Menschen, die die Freiheit garantieren sollen an den Universitäten, einem in den Rücken fallen.

 

Die Streitigkeiten um Ihre Person entzünden sich an einer bestimmten Frage: ob der Koran eine der Ursachen für die islamistischen Terrorakte ist. Moderate Moslems argumentieren, der IS hätte den Koran einfach falsch verstanden. Andere Theoretiker meinen, dass die Vorgehensweise des IS mit Zitaten aus dem Koran gerechtfertigt werden könne. Wie stehen Sie dazu?

Abdel-Samad: Natürlich gibt es im Koran auch sehr friedfertige Passagen, daran zweifelt niemand. Aber: Auch alles, was der IS tut, entspricht den Geboten des Koran oder der Biografie des Propheten. Gewaltsame Eroberung, kriegsgefangene Frauen als Sexsklavinnen, Vertreibung der Ungläubigen aus ihrer Heimat. Im Koran gibt es 25 Tötungsbefehle gegen Ungläubige, zwei Enthauptungsbefehle. Wie kann man das ignorieren? Meine These ist: Diese Suren sind in einem bestimmten historischen Kontext entstanden, weil man den Koran als ein von Menschen verfasstes Buch begreifen muss. Es ist nicht Gottes Wort. Dieser Text hat nur eine bestimmte historische Menschengruppe im Blick gehabt, aber auf keinen Fall unsere heutige Gesellschaft. Indem wir diese Texte als eine begrenzte menschliche Sichtweise verstehen, stiften wir Frieden.

 

Mit dieser These finden Sie besonders viel Zustimmung in rechten Kreisen.

Abdel-Samad: Muss ich mich um jeden Preis von der AfD distanzieren? Selbst wenn sie behauptet, dass die Sonne im Osten aufgeht? Wenn die AfD meine These unterstützt, dann vertritt sie eine vernünftige Position. Ich kritisiere diese Partei aber, wenn sie Muslime und Islamismus in einen Topf schmeißt. Jetzt heißt es plötzlich, ich würde der AfD nahestehen. Was für ein Unsinn. Ich war mein Leben lang linksorientiert.

 

Inzwischen scheinen Sie aber Probleme mit der politischen Linken zu haben.

Abdel-Samad: Die linksliberale Politik macht zwei Fehler: Sie verhindert einen offenen Diskurs über den Islam. Weil sie fürchtet, dass sich Moslems verletzt fühlen könnten. Und dann wundert sie sich, dass sich die Debatte nach rechts verlagert, statt in der Mitte der Gesellschaft stattzufinden. Der zweite Fehler: Statt offen zu diskutieren, wird fast schon hasserfüllt gegen die AfD und andere rechte Bewegungen vorgegangen. Das macht diese Bewegungen aber erst stark. Wenn wir offen diskutieren, dann wird sich schnell herausstellen, wie wenig überzeugend sie sind. Viele Linke meinen, sie müssten jetzt Sophie Scholl spielen, allerdings 70 Jahre zu spät. Ich habe bei dieser Veranstaltung gesagt, dass ich die AfD niemals wählen würde. Es tut mir weh, dass diese Botschaft nicht ankommt.

 

Glauben Sie nicht, dass viele Moslems provoziert sind von der These, der Koran sei menschengemacht.

Abdel-Samad: Aber ich bin kein Sozialarbeiter oder Psychologe. Ich bin ein Schriftsteller. Ich muss mich den Tatsachen stellen. Mein Appell ist auch an die Imame: Bitte erklärt diese Gewaltbotschaften im Koran für ungültig. Sie müssen ständig für Terroranschläge herhalten und werden zur Unterdrückung von Frauen genutzt. Das ist Sprengstoff im Herzen des Islam.

 

Ist man in Deutschland und Europa zu schwach, die eigenen Werte zu verteidigen?

Abdel-Samad: Ja. Das ist ein Kernproblem. Und das habe ich nicht nur in Deutschland erlebt. Ich habe gerade eine lange Europareise hinter mir, ich war in Frankreich, Spanien, Belgien, Dänemark und Schweden. Das Problem ist überall dasselbe. Man glaubt nicht mehr wirklich an die eigenen Werte. Zum Beispiel der Wert Meinungsfreiheit. Es herrscht eine zunehmende Angst, bestimmte Bevölkerungsgruppen zu verletzen. Denn in unserer Gesellschaft ist permanent irgendjemand beleidigt: die Juden, die Moslems, die Vegetarier, die Radfahrer. Das verhindert freie Diskussionen. Es geht nicht an, dass ein Schriftsteller all diese Sprachregelungen einhalten muss.

 

Ist das der Ungeist der "Political Correctness"?

Abdel-Samad: Ich war in diesem Jahr auch längere Zeit in den USA. Und dort habe ich den Vormarsch der rechten populistischen Demagogen beobachtet. Sie sind so erfolgreich, weil sie sich gegen die vermeintlichen Denkverbote wenden, weil sie vermeintlich die Wahrheit endlich mal offen aussprechen. In unserer Gesellschaft hat sich die "Political Correctness" längst zu einem Dogma entwickelt. Man wird in Diskussionen viel zu schnell mundtot gemacht. Früher war es das Thema soziale Gerechtigkeit. Ganz schnell wurde man zum Kommunisten abgestempelt, und damit war die Diskussion beendet. Jetzt haben wir das gleiche Problem mit dem Islam. Man wird sofort als Rassist bezeichnet. So werden Diskussionen abgeblockt. Und am Ende sind irgendwelche Populisten das Ventil, an dem sich der Diskussionsbedarf entlädt.

 

War es richtig von Angela Merkel, so viele Flüchtlinge nach Deutschland zu lassen?

Abdel-Samad: Wir sehen ja, dass wir das nicht schaffen. Merkel war naiv oder opportunistisch. Spätestens seit den Ereignissen in der Silvesternacht in Köln wissen wir, dass hier etwas grundlegend falsch läuft. Ich bin ein Demokrat und natürlich für den Rechtsstaat. Bestehende Regelungen wie Schengen oder Dublin kann man nicht einfach aufheben.

 

Aber es ging doch darum, den Flüchtlingen zu helfen.

Abdel-Samad: Ich glaube nicht, dass wir den Syrern wirklich geholfen haben. Die Syrer, die Hilfe am nötigsten haben - ich kenne einige von ihnen persönlich - die leben weiterhin unter dem Bombenhagel. Die haben kein Geld, um Schlepper zu bezahlen. Die meisten Syrer, die zu uns gekommen sind, waren zwei, drei Jahre schon woanders. Sie kommen aus der Türkei, Jordanien, Beirut oder Kairo. Die meisten sind auch nicht mit Familien und Kindern unterwegs, sondern es sind junge Männer wie Dschaber al-Bakr, der jetzt in Leipzig gefasst wurde. Diese Menschen radikalisieren sich oft erst in Deutschland. Die Flüchtlinge werden auch bald nicht mehr zufrieden sein mit dem, was sie hier vorfinden. Man hätte viel früher in den islamischen Staaten investieren sollen. Jetzt kommen Millionen Menschen. Und wir werden jahrzehntelang eine Integrationsdebatte haben, ähnlich wie mit den Türken. Nur mit noch viel mehr Arbeitslosigkeit und mehr Radikalisierung.

 

Was für eine emotionale Beziehung haben Sie zum Koran?

Abdel-Samad: Manche Leute glauben ja, ich würde dieses Buch hassen. Das Gegenteil ist wahr: Ich bin mit dem Koran aufgewachsen, und ich verbinde viele positive Erinnerungen damit, als mein Vater mich die Verse gelehrt hat. Ich mag diese Suren sehr, sie können mich zu Tränen rühren.

 

Warum haben Sie Ihr Buch Ihrem Vater gewidmet?

Abdel-Samad: Weil mein Vater mir den Koran nahegebracht hat. Und ich auch meine ersten zweifelnden Fragen an ihn richtete. Ich hätte gerne mit meinem Vater das Buch noch diskutiert. Aber er ist vor ein paar Monaten gestorben.

 

Hatten Sie heftige Konflikte mit Ihrem Vater?

Abdel-Samad: Natürlich. Er war ein konservativer Imam. Meine Bücher wurden auch ins Arabische übersetzt. Das führte zu Ärger in meiner Familie. Aber mein Vater hat irgendwann verstanden, dass ich nicht mehr konservativ denken kann, da ich in einer anderen, offeneren Gesellschaft lebe. Wir haben einen Weg gefunden, miteinander zu reden. Jeder behielt natürlich am Ende seine Meinungen.

 

Was am Koran hat heute noch Gültigkeit?

Abdel-Samad: Eigentlich nur allgemeine ethische Richtlinien: dass man mit Armen solidarisch ist, dass alle Menschen gleich sind, der Koran kennt keinen Rassismus. Das sind universale Prinzipien, die natürlich auch nicht vom Islam erfunden wurden. Diese Passagen sind sehr emotionale, haben eine ungeheure Sprachgewalt. Und sie haben natürlich nach wie vor Gültigkeit.

 

Warum haben Sie dieses Buch geschrieben?

Abdel-Samad: Mein Buch ist kein Aufruf zum Atheismus, sondern ein Aufruf zur Vernunft. Vielleicht ist das die letzte Rettung der spirituellen Kraft des Islam.

 

Das Interview führte

Jesko Schulze-Reimpell.