Als
Urlaub auf der anderen Seite

17.07.2017 | Stand 02.12.2020, 17:46 Uhr

Als Reiseziel ist Nordkorea nicht unbedingt bekannt. Meldungen von Atomtests des Regimes und Drohungen an die Weltgemeinschaft haben zu Verunsicherung geführt. Dennoch treten immer wieder Neugierige die Reise nach Pjöngjang an, um sich selbst ein Bild zu machen - darunter eine Studentin aus der Region rund um Ingolstadt.

Die Negativschlagzeilen aus Nordkorea sind zum ständigen Begleiter geworden. Erst kürzlich schockierte die Nachricht vom mutmaßlich gewaltsamen Tod des US-amerikanischen Studenten Otto Warmbier die Welt. Er hatte das ostasiatische Land im Januar 2016 besucht, wurde verhaftet und zu 15 Jahren Arbeitslager verurteilt. Laut Anklage soll er versucht haben, ein Propagandaplakat zu stehlen. Während seiner Haft erlitt Warmbier tödliche Hirnverletzungen. Das Auswärtige Amt rät nun dringend von "nicht erforderlichen Reisen" nach Nordkorea ab. Besonders Südkoreaner und Journalisten sollten das Land meiden. Die Studentin Ronja Winkler (Name geändert) hat vor dem Tod Warmbiers die Reise gewagt und uns ihre Eindrücke geschildert.

Trotz der angespannten Lage gibt es weiterhin deutsche Reiseunternehmen, die Pauschalreisen nach Nordkorea anbieten. Die Demokratische Volksrepublik Korea wirbt mit schroffen Berglandschaften, langen Skipisten und protzigen Bauten in der Hauptstadt Pjöngjang.

Wie kam nun Ronja Winkler auf die Idee, das so fremd anmutende Land zu besuchen? Auf einer Afrikareise traf sie einen Südkoreaner, der ihr von dem erbitterten Konflikt seines Landes mit Nordkorea erzählte: "Das weckte mein Interesse nicht für Süd-, sondern definitiv für Nordkorea." Laut der Reiseagentur "Korea-Reisedienst" bestehe bei der Einhaltung einiger Grundregeln - zum Beispiel der Respektierung des politischen Systems und des Kults um die Herrscherdynastie der Kims - keinerlei Risiko für die Touristen. "Es ist wie eine Reise in Länder wie den Iran, bei der die Besucher die lokalen Sitten und Gebräuche achten müssen", so eine Mitarbeiterin der Agentur. Bisher seien alle ihre Kunden wohlbehalten und zufrieden zurückgekehrt. Besonders Studenten, Akademiker und Rentner träten die Reise an. Und auch Ronja Winklers Neugier war stärker als ihre Bedenken: Sie engagierte eine Reiseagentur. Ungewöhnlich war, dass sie weder das Hotel noch die genauen Reiseziele aussuchen durfte. Dafür bekam sie einen ganzen Stapel Dokumente zum Unterzeichnen: "Unter anderem musste ich mich dazu verpflichten, mich vor jeder Kim-Statue zu verneigen. Das Hotel dürfte ich nur unter Aufsicht verlassen und nicht ohne Erlaubnis fotografieren."

Dieser erste Vorgeschmack auf die strengen Sitten in Nordkorea löste bei Winkler Unbehagen aus - doch sie trat die Reise an. Von China aus flog die Studentin mit einem Reisepartner nach Pjöngjang. Bereits im Flugzeug machte sie Bekanntschaft mit dem Regime. Ihr Sitznachbar, offenbar ein Militär, stellte ihr eindringliche Fragen: "Warum bist du hier? Wohin bist du schon gereist? Bist du verheiratet" Den Rest des Fluges wurden auf Monitoren Militärparaden und die "gütigen Führer" - entschlossen dreinblickende Mitglieder der Familie Kim - gezeigt.

Auch nach der Ankunft wurde den westlichen Touristen ihre Position sehr deutlich gemacht. Sie bekamen zwei Aufpasserinnen und einen Fahrer zur Seite gestellt, die sie 24 Stunden am Tag "betreuten" - "Beaufsichtigen träfe es wohl eher", so Winkler. Die eine sprach gutes Deutsch und die andere sehr gutes Englisch. Die Aufpasser waren im selben Hotel untergebracht wie die Besucher. Auf einer bewachten Insel im Fluss Taodong-gang gelegen, ist es eine der wenigen Einrichtungen im ganzen Land, der Touristen zugewiesen werden. Ronja Winkler wurde nach eigenen Angaben vor Ort behandelt wie eine Königin: "Ich bekam so viel zu essen, dass ich es nicht einmal geschafft habe, alles aufzuessen."

Die Reise war klar strukturiert: Während des einwöchigen Aufenthalts wurde täglich ein strammes, 14-stündiges Programm absolviert. Ronja Winkler beschreibt die Trips als "siebentägiges Theaterstück auf höchstem Niveau". Ähnlich wie in der DDR gibt es Schaubetriebe - Winkler wurde etwa zu einem Bauernhof geführt -, die den technologischen Fortschritt und die Blüte Nordkoreas zeigen sollen. Der Lack dieser Inszenierung bröckelte jedoch ob der Tatsache, dass die Bauern im Rest des Landes ihre Böden nicht mithilfe von Traktoren, sondern mit Ochsen bearbeiteten.

Um den Touristen einen vermeintlich tiefen Einblick in die nordkoreanische Gesellschaft zu ermöglichen, wurden sie zu einer Musterschule gefahren. Die Kinder zeigten laut Winkler in gedrillter Routine ihr "unglaubliches Können" beim Tischtennisspielen, Trommeln, Singen und Tanzen. Bei diesem Termin zeigte sich auch deutlich die Omnipräsenz der Propaganda. Schon die Kleinsten werden indoktriniert: "Sogar in dem an die Schule angeschlossenen Kindergarten hingen Wandgemälde, die nordkoreanische Soldaten beim Töten von Amerikanern darstellen", erzählt die Studentin bedrückt.

Und auch einen Beweis für die freie Religionsausübung bleibt die Regierung nicht schuldig: "Der Besuch einer Kirche wurde mir verweigert. Dafür führte man mir ein buddhistisches Kloster vor." Dieses war während ihres Aufenthalts jedoch zufällig völlig verwaist. Gänzlich skurril wurde die Situation dann beim Besuch einer Blumenschau, als die junge Studentin selbst zum Teil der Inszenierung wurde: Nach ihren Angaben hätte ein Kamerateam des Staatsfernsehens sie gefilmt und ihr, wie einer Statistin, Anweisungen gegeben, wie sie an einer Blume zu riechen habe. Offenbar sollten die Koreaner wissen, dass auch westliche Touristen ihr Land bewundern. "Trotz der anwesenden Menschenmassen sind die Leute mir ausgewichen und haben einen großen Kreis um mich gebildet. Ich hatte das Gefühl, ich hätte eine ansteckende Krankheit.", schildert die Studentin die Situation.

Der direkte Kontakt zu den Einheimischen stellte sich laut Ronja Winkler allgemein als praktisch unmöglich dar. Die von einer offensichtlichen Kleidungs- und Frisurverordnung genormten Menschen wurden von den Touristen weitgehend abgeschirmt. Die Studentin berichtet, dass der reibungslose Ablauf der Besichtigungstermine sogar durch weitläufige Straßensperren gewährleistet wurde. Ließ sich der Kontakt dennoch nicht vermeiden, hätten die Einheimischen pflichtbewusst ihre Blicke gesenkt und sich zurückgezogen. Bei einem Besuch im Staatszirkus wurde Winkler Zeugin akrobatischer Meisterleistungen. Doch die auf einer Leinwand im Hintergrund rollenden Panzer verliehen der Aufführung einen üblen Beigeschmack. Und wieder hatte sie das Gefühl, dass das Publikum ein Teil der Show war.

Das öffentliche Leben in Nordkorea ist nach Winklers Einschätzung gespenstisch durchchoreografiert: Einmal hätten riesige Menschenmengen beim Mansudae-Monument in Pjöngjang ohne Gesichtsregung getanzt, um den verstorbenen ersten Machthaber und "Ewigen Führer" Kim Il Sung zu ehren. Auch verneigen sie sich regelmäßig vor den 20-Meter-Statuen Kim Il Sungs und dessen Sohnes Kim Jong Il.

Doch Nordkorea besteht natürlich nicht nur aus Pjöngjang. Auf Nachfrage gab der "Nordkorea-Reisedienst" an, dass besonders chinesische Besucher gerne in den verwunschenen Bergen der Halbinsel wandern, Rad fahren, reiten und Golf spielen. Das Verhältnis zwischen den ehemaligen kommunistischen Bruderländern ist offenbar trotz der aktuellen Atomdebatte recht entspannt. Auch empfiehlt die Agentur einige Tage Badeurlaub am Meer, um sich von den Rundreisen zu erholen. Diese Touren sind auch für deutsche Touristen problemlos zu buchen. Winkler beschreibt ihre Gefühle nach dem Abenteuer Nordkorea als eine Art "dunkle Faszination". ‹ŒDK