Zeit gewonnen

Kommentar

16.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:21 Uhr

Das Aufatmen von Martin Schulz ist deutlich zu spüren. Nach dem SPD-Erfolg bei der Niedersachsen-Wahl sitzt der Parteichef wieder fester im Sattel. Eine weitere Schlappe für die Genossen, die fünfte Wahlniederlage seit Schulz' Inthronisierung, hätte ihn weiter geschwächt.

Zu Recht hat er sich einen Zweig von Weils Lorbeerkranz abgeknipst: Sein Erfolg dabei, die Partei nach dem Bundestagswahl-Desaster zusammenzuhalten, hat den Triumph von Hannover möglich gemacht.

Mehr als etwas Zeit hat Schulz dennoch nicht gewonnen, um die SPD und sich selbst zu sortieren und den inhaltlichen und personellen Neustart einzuleiten. An seiner Wiederwahl als SPD-Chef auf dem Parteitag im Dezember zweifelt seit Sonntag niemand mehr ernsthaft. Die potenziellen Königsmörder halten nun die Füße still, lauern auf ihre Chance, wenn es darum geht, die nächste Bundestagswahl ins Visier zu nehmen - in zwei Jahren könnte es so weit sein.

Dauerhaft halten kann sich Martin Schulz nur, wenn es ihm gelingt, die Aufgabe zu lösen, der die Genossen seit der Schröder-Zeit ausgewichen sind: Er muss die Fragen beantworten, wofür die SPD gebraucht wird, wohin sie steuern soll. Er darf sich nicht länger mit Detailfragen und Konzepten aufreiben, muss vielmehr eine neue Formel schaffen, in der sich die verschiedenen Lager wiederfinden.

Im Wahlkampf war Schulz am Versuch gescheitert, es allen recht machen zu wollen, das Ergebnis war die Selbstverzwergung der SPD. Emanuel Macron in Frankreich und Jeremy Corbyn in Großbritannien haben vorgemacht, dass die Sozialdemokratie heute nur eine Chance hat, wenn sie sich für einen klaren Kurs entscheidet. Den Mut hat Schulz bislang vermissen lassen.