Wahlkampfklamauk

Kommentar

27.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:35 Uhr

Es ist das gute Recht Horst Seehofers, sich zum Cheflobbyisten der Autoindustrie aufzuschwingen und die von ihr ausgegebene Parole zu verbreiten, Autofahren sei nur mit Diesel und Benzin möglich. Allerdings ist der CSU-Chef auch bayerischer Ministerpräsident und deshalb eigentlich von Amts wegen auch ganz anderen Interessen verpflichtet.

Beispielsweise der Gesundheit von Menschen, die in Städten leben und verpestete Luft einatmen müssen.

Zu deren Schutz gibt es Grenzwerte für Schadstoffe. Zwar wurden die viel zu lange ignoriert, weil die Kumpanei von Politik und Autoindustrie zulasten der Bürger so gut funktionierte. Aber seit Juli, als das Stuttgarter Verwaltungsgericht sein Urteil fällte, ist ein neuer Mitspieler auf dem Feld. Die Richter stellten den Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung vor den Schutz der Rechtsgüter Eigentum und allgemeine Handlungsfreiheit - in diesem Fall der Besitzer von Diesel-Fahrzeugen -, und erklärten, dass deshalb auch Fahrverbote als letztes Mittel nötig sein können.

Wenn Seehofer nun behauptet, für bayerische Städte komme das überhaupt nicht infrage, betreibt er Augenwischerei. Was will er denn gegen anderslautende Gerichtsurteile unternehmen? Die Richter wegsperren lassen? Also nutzt er die vertrackte Situation wenigstens noch zu einem billigen Wahlkampfklamauk, indem er behauptet, es sei die sozialdemokratische Umweltministerin Barbara Hendricks, die Millionen Diesel-Fahrer mit Fahrverboten bedrohe. Das sei "blanker Irrsinn" und "unverantwortlich".

In Wirklichkeit hat die Ministerin nur darauf hingewiesen, dass solche Verbote kommen werden, wenn sich die Industrie nicht endlich bewegt, und - nach Jahren des Hinhaltens, der Trickserei und teilweise sogar groß angelegten Betrugs - Gesundheitsrisiken durch Auto-Abgase entschieden reduziert. Denn Richter sind dem Gesetz unterworfen und nicht politischem Druck. Selbst das Arbeitsplatzargument verfängt dann nicht ohne Weiteres, wenn es ins Verhältnis zum Gesundheitsschutz von Millionen Menschen gesetzt wird.

"Blanker Irrsinn" und "unverantwortlich", das kann leicht auf Seehofer selbst zurückfallen, wenn er auch weiterhin zusammen mit seinem famosen Verkehrsminister Dobrindt, Automanager in dem Glauben bestätigt, Verbrennungsmotoren hätten selbst in Innenstädten eine Ewigkeitsgarantie. Man braucht nur vor deren Schattenseiten ganz fest die Augen zu verschließen.