Kurzes Gedächtnis

Kommentar

23.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:46 Uhr

Es knirscht gewaltig im EU-Gebälk, das wurde schon vor dem Gipfel vom Freitag deutlich. Mit einer "echten politischen Krise mit weitreichenden Folgen für die Einheit der Union" droht der polnische Europaminister Konrad Szymanski für den Fall, dass Flüchtlingsquoten in der EU mit Mehrheitsbeschluss durchgesetzt werden und das Thema mit dem europäischen Budget verknüpft wird.

Genau das hat Kanzlerin Angela Merkel getan: Wer Geld aus Brüssel haben will, soll gefälligst Flüchtlinge aufnehmen. Polen oder Ungarn argumentieren als Antwort mit Merkels Entscheidung vom September 2015: Wir haben die Flüchtlinge nicht eingeladen, also sollen sich jene kümmern, die einst ihre Grenzen geöffnet haben.

Natürlich kann man diese Haltung kritisieren und Solidarität einfordern. Doch wer sie zwingen will riskiert, dass die osteuropäischen Länder, die ohnehin schon schwierige Partner sind, sich weiter von der EU abwenden. Europa steht am Scheideweg. Die Briten werden sich aller Voraussicht nach verabschieden. Auch in anderen Ländern ist Europa-Skepsis verbreitet. Noch im vergangenen Jahr war die Sorge groß, Marine Le Pen könnte in Frankreich die Präsidentschaftswahl gewinnen. Doch viele Politiker in Regierungsverantwortung haben ein recht kurzes Gedächtnis.

Dazu gehört der deutsche Kommissar Günther Oettinger, der nach dem Austritt der Briten bis zu 14 Milliarden Euro mehr Beiträge von den verbleibenden EU-Ländern haben will, statt kräftig zu sparen. Zudem träumt er von einer EU-Regierung "mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben". Anders denken da Angela Merkel und jene Staats- und Regierungschefs, die den Kommissionspräsidenten wieder im Hinterzimmer aushandeln wollen, weil sie lieber keine starke Persönlichkeit an dieser Stelle wollen, die eigene Akzente setzt.