Karlsruhe
Gutes Signal für Abiturienten

Bundesverfassungsgericht kippt teilweise Numerus clausus für Medizinstudium

19.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:03 Uhr

Karlsruhe (DK) Der Präsident der Bundesärztekammer geht hart mit der Politik ins Gericht, freut sich über die Entscheidung: "Das ist ein gutes Signal. Das Karlsruher Urteil ist eine Ohrfeige für eine kleinstaatliche Bildungspolitik", lobte Frank Ulrich Montgomery gestern im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und kritisiert vor allem die Bundesländer, aber auch den Bund scharf.

Die Vergabepraxis bei Studienplätzen für Humanmedizin sei teilweise verfassungswidrig und müsse vom Gesetzgeber bis Ende 2019 geändert werden, schrieben die Karlsruher Richter Bund und Ländern ins Stammbuch. Der Numerus clausus für das Medizinstudium ist teilweise gekippt. "Die bundes- und landesgesetzlichen Vorschriften über das Verfahren zur Vergabe von Studienplätzen an staatlichen Hochschulen sind, soweit sie die Zulassung zum Studium der Humanmedizin betreffen, teilweise mit dem Grundgesetz unvereinbar", so die Richter des Ersten Senats gestern. Die Auswahl verstoße zum Teil gegen die Chancengleichheit. Die Abiturnote dürfe nicht das einzige Entscheidungskriterium sein, heißt es weiter.

"Die Richter haben jetzt bei ihrer Entscheidung berücksichtigt, dass es in den Bundesländern absolut unterschiedliche Voraussetzungen für den Erwerb des Abiturs gibt. Da ist es höchst problematisch, dieses Abitur zur Voraussetzung für ein Medizinstudium zu machen", erklärte Ärztekammer-Präsident Montgomery.

Das Urteil betrifft den überwiegenden Teil der zu vergebenden Studienplätze, von denen 20 Prozent über die Note (Numerus clausus 1,0 bis 1,2) vergeben werden, ebenso viele über die Wartezeit (aktuell 14 bis 17 Semester) und 60 Prozent über die Auswahl der Hochschulen. Auch hier entscheidet vor allem die Abiturnote. Auf jeden Studienplatz für Humanmedizin in Deutschland kommen mehrere Bewerber. Allein zum aktuellen Wintersemester standen im Fach Humanmedizin knapp 9200 Studienplätzen fast 43 200 Bewerber gegenüber.

Steht ein Medizinstudium künftig für jedermann offen? Kann jetzt jeder den Arztberuf ergreifen? Ärztekammer-Chef Montgomery winkt ab: "Nein, die Gefahr sehe ich nicht." Doch könnten die Abiturnoten nicht länger als ausschließliches Kriterium für die Zulassung zum Medizinstudium dienen. "Wir brauchen nicht nur Nobelpreisträger als Ärzte. Wir brauchen Menschen, die andere Menschen versorgen wollen, wie etwa Ärzte auf dem Land", erklärt der Mediziner. Schließlich würden Ärzte vor allem auch menschliche, soziale und kommunikative Kompetenzen benötigen. Zehn Prozent mehr Studienplätze und bundesweite Assessment-Center sowie einheitliche Kriterien für die Vergabe - so lauten die Forderungen der Ärztekammer.

"Das Auswahlverfahren ist dringend reformbedürftig, weil es in vielen Punkten weder sachgerecht noch verfassungsgemäß ist. Man kann dem Bundesverfassungsgericht nur dankbar sein, dass es die Dinge so deutlich beim Namen nennt", lobte auch der Vizechef des Marburger Bundes, Andreas Botzlar, das Urteil. Der Marburger Bund ist Deutschlands größte Ärztevereinigung. Die Politik habe jetzt einen klaren Arbeitsauftrag, erklärte er im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion. Der Karlsruher Auftrag an Bund und Länder: Die Auswahlverfahren und Eignungstests an den Unis müssen künftig vereinheitlicht und in "standardisierter und strukturierter Form" stattfinden, die Wartezeiten auf einen Studienplatz begrenzt werden. Auch müssten Kriterien bei der Vergabe berücksichtigt werden, die nichts mit dem Abiturschnitt zu tun haben, aber für die Eignung zum Beruf des Mediziners wichtig seien.

Im Frühjahr hatten sich Bund und Länder auf einen "Masterplan Medizinstudium 2020" geeinigt. Nach den Reformplänen sollen Medizinstudenten künftig praxisorientierter und nah an Patienten arbeiten. Zudem solle die Allgemeinmedizin wieder mehr im Mittelpunkt stehen. Um den Ärztemangel auf dem Land zu beseitigen, sollen die Länder bis zu zehn Prozent der Studienplätze für Bewerber vergeben können, die sich bereit erklären, im ländlichen Raum zu praktizieren.