Sätze fürs Geschichtsbuch

Kommentar

26.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:52 Uhr

Es kriselt bei der SPD. Ein paar Wochen Schulz-Effekt haben das nicht geändert, maximal vertuscht. Die Genossen erinnern sich voller Wehmut an bessere Zeiten, in denen die Partei viele bedeutende Köpfe hervorgebracht hat, die nicht weniger bedeutende Sätze geprägt haben.

Im Gedächtnis geblieben ist etwa Willy Brandt: "Wir wollen mehr Demokratie wagen", rief er einst der jungen Bundesrepublik zu. Und Helmut Schmidt erkannte gewohnt scharfsinnig, dass sich "in der Krise der Charakter beweist". Vielleicht hatte Martin Schulz diese Weisheiten im Hinterkopf, als er in Dortmund zum Angriff auf die Union blies und sich ebenfalls an einem Satz für die Geschichtsbücher versuchte: CDU und CSU wollten sich vor inhaltlichen Aussagen drücken, auch wenn dadurch weniger Menschen zur Wahl gingen. "Ich nenne das einen Anschlag auf die Demokratie."

In der Tat wird dieser Ausspruch des SPD-Kanzlerkandidaten im Gedächtnis bleiben - aber vor allem wegen des Echos. Parteiübergreifend herrscht Empörung. FDP-Chef Christian Lindner springt der Union zur Seite. Schulz verharmlose die echten Feinde der Demokratie. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer bescheinigt dem SPD-Chef, die Nerven verloren zu haben. Und Sahra Wagenknecht als Gesicht der Linken meint salopp, Schulz solle sich an die eigene Nase fassen.

Das nennt man wohl klassisch ausgekontert, was bitter ist für die SPD. Denn ansonsten haben sich die Sozialdemokraten bei ihrem Programmparteitag gut verkauft, haben laut Fraktionschef Thomas Oppermann das "beste Wahlprogramm seit Brandt" beschlossen. Nun sind die Inhalte der Partei bekannt. Schulz musste sich seit Monaten vorhalten lassen, zu zögerlich die Leitlinien seiner Politik erkennen zu lassen. Dabei stellte er ein Konzept nach dem anderen vor - zu einer neuen Verteilung der Steuerlast, zur Zukunft der Rente, zur Neugestaltung der Agenda 2010. Die Union um Angela Merkel wartet unterdessen ab und verweist lediglich darauf, wie hervorragend Deutschland dastehe. Schulz rede die Lage schlecht.

In diesem Punkt haben die Unionsparteien recht. Das Bild, welches die SPD unter Martin Schulz vom sozialen Zustand der Bundesrepublik zeichnet, ist zu düster. Aber: Immerhin zeichnet Schulz. Seine Kritik an der Union ist zwar überaus tollpatschig zugespitzt, aber nicht unberechtigt. Die SPD will das Tempo diktieren. Während CDU und CSU noch intern grübeln, hat Schulz geliefert. Doch solch eine Steilvorlage wie beim Dortmunder Parteitag muss er sich künftig verkneifen, seine Attacken cleverer gestalten. Da auch potenzielle Steigbügelhalter wie die Grünen schwächeln, droht ohnehin die Opposition. Und die ist bekanntlich - um mit Franz Müntefering einen weiteren großen Genossen zu zitieren - "Mist".