Ingolstadt
„Ich bin überzeugter Feminist“

03.05.2017 | Stand 02.12.2020, 17:30 Uhr

Heiner Geißler äußerte sich am Rande der Ingolstädter Literaturtage auch über aktuelle politische Themen. - Foto: bsf

Ingolstadt (DK) Heiner Geißler sprach in einem seiner letzten Interviews mit dem DONAUKURIER bei seinem Besuch der Ingolstädter Literaturtage über Sozialpolitik, Leitkultur und die Macht des Wortes.

Herr Geißler, wären Sie noch CDU-Generalsekretär, mit welchen Themen würden Sie heuer in den Wahlkampf ziehen?

Heiner Geißler: Mit einer neuen globalen Wirtschafts- und Friedensordnung mit ethischem Fundament. Mit Europa, denn ohne Europa gibt es keine Zukunft. Und sozialpolitisch mit einer grundlegenden Reform bestimmter Elemente der Agenda 2010, vor allem massive Einschränkung der befristeten Arbeitsverträge und der Leiharbeit. Und der endgültigen Gleichberechtigung der Frauen in der Arbeitswelt.

Sehen Sie Ihre Partei diesbezüglich auf dem richtigen Weg?

Geißler: Was die globale Verantwortung betrifft, 100-prozentig ja. Wobei der Schwerpunkt in der Beseitigung der Fluchtursachen der Flüchtlinge liegen müsste, also Befriedung im Nahen Osten und massive Unterstützung der Investitionen, vor allem in Afrika, damit dort Arbeitsplätze geschaffen werden. Das ist auch das Konzept der CDU. Und Europa sowieso.

Und wie steht es um die sozialpolitischen Forderungen?

Geißler: Da gibt es unterschiedliche Meinungen zwischen mir und der Parteiführung.

Was halten Sie von der aktuellen Leitkultur-Debatte?

Geißler: Ein paar Vorschläge sind völlig unnötig, andere sind selbstverständlich richtig. Nur sollte man das Ganze nicht als Leitkultur bezeichnen, ich lasse mich nicht gerne leiten von irgendeiner Kultur, die ein Innenminister entwickelt hat. Das kommt überhaupt nicht infrage. Aber es gibt einige Selbstverständlichkeiten, die durchgesetzt werden müssen. Dazu gehört zum Beispiel, dass jemand, der sich aus religiösen Gründen weigert, einer Frau die Hand zu geben, nicht hierher gehört. Und wer hier Propaganda für einen Diktator macht und den auch in Wahlen unterstützt, wie viele Deutschtürken es getan haben, sollte seine Staatsbürgerschaft abgeben. Aber das sind politische Forderungen, das muss man nicht als Leitkultur bezeichnen. Es gibt nicht den typisch Deutschen.

Sie sind Globalisierungskritiker. Vernachlässigt die Politik die Verlierer dieses Prozesses?

Geißler: Bei uns in Deutschland noch nicht. Aber wir müssen schauen, dass die Leute, die am unteren Rand der Gesellschaft leben müssen, in eine solche Situation in der Zukunft nicht mehr hineingeraten. Und dazu gehört, dass die Altersarmut von Frauen verhindert werden muss. Und das hängt wieder mit den Arbeitsplätzen zusammen. Frauen sollten nicht auf 400-Euro-Jobs, Leiharbeit und befristete Stellen abgeschoben werden. Wenn wir verhindern wollen, dass sich die Altersarmut vergrößert, dann muss man die Einkommenslage der Menschen verbessern.

Angela Merkel wurde kürzlich gefragt, ob sie eine Feministin sei. Das konnte sie nicht so recht beantworten. Sind Sie Feminist?

Geißler: Ich bin ein überzeugter Feminist. Schon immer gewesen, das hat sich aber gesteigert. Die Diskriminierung der Frauen ist nach wie vor das größte Menschenrechtsproblem, das wir auf der Welt haben. Das wirkt sich auch aus in unseren Zivilisationen. Der gefährlichste Ort der Körperverletzung oder des sexuellen Missbrauchs ist nicht irgendein Waldrand oder Hinterhof, sondern ist die Ehe. Das heißt, die Bekämpfung der häuslichen Gewalt gehört zu den wichtigsten gesellschaftspolitischen Aufgaben.

Bräuchte es in der Politik mehr Leute wie Sie, die auch mal klare Kante zeigen? Hat die Politik ein Kommunikationsproblem?

Geißler: Das ist ganz sicher so. Es ist richtig, dass es in Deutschland nicht die wortmächtigen Menschen gibt, wie das früher vielleicht der Fall war. Vielleicht kommt’s darauf aber auch gar nicht so an – bestünde nicht die Gefahr, dass vom rechten oder linken Rand einer entsteht. Aber es ist auch ein Problem der Presse.

Das müssen Sie erläutern.

Geißler: Die Pressefreiheit ist eines der wichtigsten Elemente der Demokratie. Aber es wäre für die Demokratie außerordentlich hilfreich, wenn über die Institutionen öfter positiv berichtet werden würde. Die Union hat 95 000 Abgeordnete auf allen Ebenen. Die arbeiten zu 99,9 Prozent ordentlich und sind nicht korrupt. Wenn einer mal was falsch macht, sollte man nicht alle in denselben Topf werfen.

Die Fragen stellte Verena Belzer.