Staat der nicht mehr existiert
Reizwort „Preußen“: Claudia Roth (Grüne) will traditionsreiche Stiftung umbenennen

25.12.2022 | Stand 25.12.2022, 12:43 Uhr

Kulturstaatsministerin Claudia Roth −Foto: dpa

Betreiben die Grünen gerade einen Kulturkampf gegen alles Preußische? Zumindest will Kulturstaatsministerin Claudia Roth die traditionsreiche Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin umbenennen.



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Preußen existiert nicht mehr. Und doch taugt es immer noch dazu, Debatten über das Selbstverständnis Deutschlands auszutragen. Ob Kreuz und biblische Inschrift auf der Kuppel des Humboldt-Forums in Berlin, ob Streit um das Erbe der Hohenzollern oder Umbenennung des Bismarck-Zimmers im Auswärtigen Amt: An preußischer Geschichte und ihren maßgeblichen Persönlichkeiten scheiden sich die Geister.

Jetzt hat Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) ihren Willen bekundet, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) umzubenennen, unter deren Dach zahlreiche Museen und Kultureinrichtungen gebündelt sind. Der Name bringe nicht „die Weltläufigkeit der Kulturgüter zum Ausdruck“, sagte Roth dem „Spiegel“. Der Name schließe zudem einen großen Teil Deutschlands aus. „Preußen ist ein wichtiges, aber nicht unser einziges Erbe“, sagte sie. „Deutschland ist viel mehr.“

„Borussen“ im Fußball ebenfalls eine Spur der Preußen

Dabei haben die Preußen in vielen Bereichen Spuren hinterlassen. Etwa wenn die „Borussen“ aus Dortmund und Mönchengladbach oder die Spieler von Preußen Münster aufs Spielfeld laufen. Auch die schwarz-weißen Trikots der Fußballnationalmannschaft repräsentieren die Farben Preußens.

Preußen existiert nicht mehr: 1947 ordneten die Siegermächte an, den Staat von der Landkarte auszuradieren. Preußen - das war nach Meinung vieler der Grund, warum Deutschland in den Abgrund von zwei Weltkriegen geraten war. Militarismus, Staatsvergottung, Gehorsams-Fixierung und Intoleranz: Nach dieser Lesart hatte das protestantische Preußen auch dem neu gegründeten Deutschen Reich seit 1871 seinen Stempel aufgedrückt und die liberalere, katholisch geprägte Kultur Süddeutschlands und Österreichs beiseite geschoben.

Doch es gibt auch gegenteilige Positionen: Preußen gilt, vor allem im 19. Jahrhundert, als Inbegriff von effektiver Verwaltung und unbestechlicher Beamtenschaft, Bildungsfreundlichkeit und Toleranz gegenüber religiösen Minderheiten wie den Juden.

Staat mit Doppelgesicht

Ein Staat mit Doppelgesicht. Das zeigt sich auch mit Blick auf den Nationalsozialismus: Viele Mitglieder der preußischen Adels unterstützten die Politik Hitlers. Umgekehrt trugen nicht wenige Mitglieder des Widerstands klangvolle preußische Namen - so Helmuth James von Moltke und Peter Yorck von Wartenburg.

Nicht vergessen werden dürfen die kümmerlichen Anfänge. Preußen war ein Flickenteppich von Territorien: 1415 hatte der deutsche König Sigismund den in Nürnberg residierenden Hohenzoller Friedrich VI. mit der Mark Brandenburg belehnt - ein ärmliches und dünn besiedeltes Territorium, das auch als „des Heiligen Römischen Reiches Streusandbüchse“ verspottet wurde.

In den folgenden Jahrhunderten ererbten und erheirateten die Hohenzollern immer neue Territorien: 1614 etwa das Herzogtum Kleve, Minden sowie die Grafschaften Mark und Ravensberg im Westen, 1618 das östliche Herzogtum Preußen. 1701 dann die Aufwertung: Aus Friedrich III. von Brandenburg wurde König Friedrich I. in Preußen.

Preußen stand mehrfach am Abgrund

Der Historiker Christopher Clark beschreibt den Aufstieg Brandenburg-Preußens als abwechselnde „Phasen frühreifer Stärke mit Phasen gefährlicher Schwäche“. Mehrfach stand das Land am Abgrund: während des Dreißigjährigen Krieges oder auch 1806, als Napoleon das besiegte Preußen auf die Kerngebiete östlich der Elbe reduzierte. Doch Napoleons Niederlage sorgte auch für eine Wiedergeburt: Auf dem Wiener Kongress bekam Preußen auch noch das Rheinland und Westfalen zugesprochen, Kernbereiche der Industrialisierung.

All die militärischen Katastrophen hätten, so Clark, „ein bleibendes Gefühl der Verwundbarkeit“ hinterlassen. Vor allem deshalb habe sich Preußen durch eine überdimensionierte Streitmacht und eine Verherrlichung des Militärischen ausgezeichnet - bis hin zu Kaiser Wilhelm II., dem letzten Preußenkönig, und zu Hitler

Kritik an Roths Plänen kam vom früheren Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse: Dies sei ein „Versuch, sich von geschichtlichen Lasten zu befreien“, sagte er. Thierse warf den Grünen vor, dass sie „mit moralischem Furor Geschichtsreinigung betreiben“ würden. Weil sie derzeit schmerzliche Kompromisse machen müssten, „benötigen sie wohl umso heftiger Ersatzhandlungen“.

− kna