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Hier wird der BMW der Zukunft erdacht

24.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:25 Uhr

Das Modell zeigt die Ausmaße des neuen Business Campus in Unterschleißheim. Der Leiter des Projekts ist Christian Bretthauer. - Fotos: Rast

Unterschleißheim (DK) Im Norden von München entstehen in den kommenden Jahren mehr als 4000 hoch qualifizierte Arbeitsplätze. Im neuen Business Campus in Unterschleißheim will BMW das Auto der Zukunft entwickeln. Davon sollen auch Pfaffenhofen und Ingolstadt profitieren.

 Das Baufeld wirkt auf den ersten Blick noch wenig einladend: Zäune, Stacheldraht, Überwachungskameras, Absperrungen und jede Menge Bauschutt. Ein gewaltiger, wie ein Irrgarten anmutender mehrstöckiger Bürotrakt schlängelt sich über das Areal. Wuchtige, abbruchreife Montagehallen stehen herum, sie wirken wie aus der Zeit gefallen. Nur acht Gehminuten vom Unterschleißheimer Stadt-zentrum entfernt hatte Siemens hier ab dem Jahr 1986 streng geheime Radartechnik entwickelt. Später hatte der Airbus-Vorgänger Dasa die 17 Hektar große Fläche übernommen. Kaum vorstellbar, dass hier ab Herbst die hochautomatisiert fahrenden Modelle aller Marken der BMW Group entwickelt werden.

Ende 2014 kaufte die DV Immobilien Gruppe (siehe Infokasten) das Grundstück der Airbus Group ab. Was derzeit noch den Charme einer von der Bundeswehr aufgegebenen Kaserne verströmt, wird in den Business Campus München-Unterschleißheim verwandelt. Der Begriff steht für die Verschmelzung von geschäftlicher Dynamik mit an Hochschulen entwickelter Spitzentechnologie. Mit einem attraktiven, die Kreativität fördernden Arbeitsumfeld sollen IT-Spezialisten und Softwareentwickler aus der halben Welt angezogen werden. Zum Flughafen München ist es nur ein Katzensprung.

Nach Angaben des in Regensburg ansässigen Unternehmens werden wohl 350 bis 400 Millionen Euro in Unterschleißheim investiert. Mit diesem Betrag könnte man eine weitere Allianz-Arena bauen. Gut 30 Autominuten entfernt von Ingolstadt, nach Pfaffenhofen geht es noch schneller, entstehen jetzt nach Auskunft der DV Immobilien mit die zukunftsfähigsten Arbeitsplätze Deutschlands. Im Endausbau sollen es um die 4000 sein. Etwa die Hälfte werden Angestellte von BMW sein. Der Münchner Autobauer bündelt hier laut einer Pressemitteilung seine Entwicklungskompetenzen für Fahrzeugvernetzung und automatisiertes Fahren. "Dieser zukünftige Entwicklungsstandort befähigt uns, bis 2021 den iNEXT, den ersten autonom fahrenden BMW, auf den Markt zu bringen", teilt Klaus Fröhlich, der Entwicklungsvorstand der BMW Group, mit. Im Business Campus wird der BMW der Zukunft geboren.

Der neue Stadtteil in Unterschleißheim trägt einen wichtigen Mosaikstein zur mittelfristigen Entwicklung des Ballungsraums bei. Nach Untersuchungen wird die Metropole München bis zum Jahr 2030 um etwa 300 000 Einwohner wachsen. Das entspricht der aktuellen Dimension von Augsburg. Für den Großraum München wird sogar ein Plus von rund 600 000 Menschen erwartet. Die liebevoll "Millionendorf" genannte bayerische Landeshauptstadt dürfte dann die Marke von zwei Millionen Einwohnern knacken.

Ein Mammutprojekt wie der Business Campus braucht einen Kopf, der die kreative Arbeit vieler kompetenter Mitarbeiter koordiniert. Christian Bretthauer, Zentralgeschäftsführer der DV Immobilien Gruppe, geht die Herausforderung mit professioneller Routine an. Er ist 57 Jahre alt und Diplom-Mathematiker, sachlich und fokussiert. Während Architekten gewöhnlich vor allem attraktive Gebäude gestalten wollen, hat Bretthauer die Praxis bis hin zu den Laufwegen in jedem Büro im Blickfeld. Doch er benötigt auch Geduld und Ausdauer. "Der Planungshorizont bis zur Fertigstellung erstreckt sich zwischen zwölf und 15 Jahren", berichtet er. Dafür sollen hoch qualifizierte Jobs angesiedelt werden, überwiegend im Bereich der technischen Entwicklung.

Über den Preis für das 17 Hektar große Grundstück schweigt sich Bretthauer aus. Nur einen Satz lässt er sich entlocken: "Wir haben uns in einem Bieterwettstreit durchgesetzt." Generell werde Gewerbegrund in Unterschleißheim mit 350 Euro pro Quadratmeter gehandelt. "Manche Anbieter entschweben auch auf bis zu 600 Euro pro Quadratmeter", meint er mit sanfter Ironie.

Der Manager kann für sein Business-Campus-Konzept aus dem Erfahrungsschatz bereits verwirklichter Projekte der Unternehmensgruppe schöpfen. Vorbilder sind der in den 1980er-Jahren in Regensburg errichtete Gewerbepark, der ab 1990 gebaute Südwestpark Nürnberg und der ab 2005 verwirklichte Business Campus im nur zwölf Kilometer entfernten Garching. In der für ihren Forschungsreaktor und die TU bekannten Stadt siedelte die DV Immobilien Gruppe auf aktuell 180 000 Quadratmeter Mietfläche rund 100 Firmen an. 5500 Jobs wurden bereits geschaffen, im Endausbau sollen es 7500 bis 8000 sein. Stets werden die Gebäude mittels einer Ringstraße erschlossen. Im Zentrum liegt immer ein kleiner See, der Grünanteil ist hoch und rundum locken vielseitige gastronomische Angebote. "Die Arbeitsplätze müssen auch eine hohe Aufenthaltsqualität bieten", betont Bretthauer.

Dafür sind Servicekomponenten, wie es im Fachjargon heißt, unerlässlich. Ein Supermarkt wird ebenso angesiedelt wie eine Kinderbetreuung, ein Konferenzzentrum und ein Ärztehaus. Darin hat ein Radiologe den Betrieb bereits aufgenommen, weitere Mediziner werden folgen. Wichtig ist ein Fitnesscenter. Wer hier am Auto der Zukunft forscht, dürfte häufig jung sein. Gleitende Arbeitszeiten sind in der Branche die Regel.

Trotz des umfassenden Angebots sind die Gewerbemietpreise für den Norden von München moderat: Von knapp unter zehn Euro bis zu 13 Euro pro Quadratmeter will die DV Immobilien Gruppe erlösen. "Wir haben großes Interesse daran, unsere Mieter langfristig zu halten", erklärt Stephan Hof, der Geschäftsführer der Business Campus Management GmbH. Der Immobilienentwickler wünscht sich florierende Firmen mit zufriedenen Mitarbeitern. Dann sei ein Umzug an einen anderen Standort ohnehin kein Thema.

Obwohl der Unterschleißheimer S-Bahnhof der Linie 1 nur fünf Gehminuten entfernt liegt, müssen auch drei Parkhäuser mit bis zu 2500 Stellplätzen gebaut werden. Die vermietbare Nutzfläche dürfte im für das Jahr 2030 anvisierten Endausbau bei rund 200 000 Quadratmeter liegen. Etwa 47 000 Quadratmeter hat sich bereits BMW für seine Innovationsoffensive gesichert. Für Unterschleißheim soll sich aus dem Business Campus zudem eine städtebauliche Verbesserung ergeben. "Das Gelände wirkte früher wie ein Fremdkörper", weiß Hof. Nun strebt man eine harmonische Anbindung an die umliegende Wohnbebauung an. "Wir wollen Arbeit und Wohnen zusammenführen", sagt Hof. Das Energiekonzept basiert auf Geothermie, die Gebäude hängen an einem Nahwärmenetz.

Den von der Airbus Group übernommenen Bestand an Büroraum beziffert Bretthauer auf etwa 50 000 Quadratmeter. "Das ist ein typischer Siemens-Bau." Er räumt ein, dass die DV Immobilien Gruppe intensiv mit dem kompletten Abriss des Gebäudes geliebäugelt habe. Doch dessen Grundsubstanz sei sehr gut. "Es wäre schade, alles zu schleifen", meint Bretthauer und fügt hinzu: "Wir können ja nicht alles weghauen, was aus der Vergangenheit stammt." Das sei nicht einmal für die Arbeitsplätze der Zukunft nötig.