Sierra
Blutige Diamanten auch ohne Konflikte

29.06.2016 | Stand 02.12.2020, 19:37 Uhr

Sierra Leone (DK) Bis zu den Knien steht Solomon Vandy im braunen Wasser und wäscht Sand und Steine durch ein Sieb. Die Sonne Sierra Leones brennt herunter. Rebellen der Revolutionary United Front (RUF) haben seinen Sohn verschleppt und als Kindersoldaten eingesetzt. In einem Krieg, den Solomon, selbst ein Gefangener der RUF, gezwungen ist, mitzufinanzieren: Er schürft Diamanten. Die Situation, die Edward Zwick 2006 in seinem Film "Blood Diamond" beschreibt, ist nicht weit hergeholt. "Alle Zahlen, alle Handelswege, die Rolle von Söldnerheeren - alles, wodurch so ein komplexes Bild gezeichnet wird, war wirklich so", bestätigt Anne Jung von der Hilfs- und Menschenrechtsorganisation medico international, die Projekte unter anderem in Sierra Leone unterstützt. "Als das Thema so populär wurde, befanden sich mehrere afrikanische Länder im Bürgerkrieg, der mit diesen Diamanten finanziert wurde. Daher kommt der Begriff." Heute hat sich die Situation etwas verändert, denn die meisten bewaffneten Konflikte sind inzwischen beendet - und doch klebt Blut an vielen Diamanten, die in afrikanischen Ländern abgebaut werden.

"Es kommt weiterhin zu massiven Menschenrechtsverletzungen mit Diamanten, so- dass man sagen kann, dass es weiterhin Konfliktdiamanten gibt", erklärt Jung. Laut Definition fallen zwar eigentlich nur Diamanten, die von Rebellenbewegungen in Kriegsgebieten gehandelt werden, unter diesen Begriff - für medico international geht es aber um mehr: "Im Kontext vom Schürfen von Diamanten werden Menschen häufig großflächig von ihrem Grund und Boden vertrieben. Das ist besonders schwerwiegend für Familien, die Landwirtschaft betreiben und damit ihre Ernährungsgrundlage verlieren", nennt Jung ein Beispiel. Entschädigungen würden oft gar keine gezahlt. "Dann regt sich häufig Protest, der nicht selten gewaltsam niedergeschlagen wird."

Besonders betroffen sind die Regionen mit den größten Diamantenvorkommen. "Dort sind die Lebensbedingungen besonders elend", sagt Jung und nennt Simbabwe, Sierra Leone, Angola und die Demokratische Republik Kongo. Den Hauptgrund dafür sieht sie darin, dass die Diamantenfirmen keine Reinvestitionen tätigen - und auch nicht durch Verträge dazu verpflichtet werden. "Sie betrachten die Region als Rohstofflager. Sie holen die Diamanten aus der Erde, aber es werden mit dem gewonnenen Reichtum keine Schulen oder Gesundheitsstationen gebaut."

Die positive Ausnahme ist Botswana: Hier schürft vor allem das luxemburgische Unternehmen De Beers, der größte Diamantenproduzent und -händler der Welt. "De Beers war nur bereit, ganz schlechte Bedingungen anzubieten", erzählt Jung von den Verhandlungen mit der botswanischen Regierung in den 1960er-Jahren. "Aber der Vorteil von Botswana war, dass die Diamanten dort von einer so hohen Qualität sind, wie man sie an wenigen Orten auf diesem Planeten findet." Die botswanische Regierung konnte bessere Konditionen erhandeln - Geld, das der Infrastruktur zugute- kommt. Die Bevölkerung dort hat etwas von dem natürlichen Reichtum ihres Landes. "Da kann man sehen, wie anders die Lebensbedingungen sein könnten, wenn es in mehr Ländern diese günstigen Voraussetzungen gegeben hätte."

Was sich tatsächlich in den meisten afrikanischen Ländern verbessert hat, ist die Kontrolle von Diamanten aus Kriegsgebieten. Hintergrund ist der sogenannte Kimberley-Prozess, der seit 2003 in Kraft ist. Um einen Bürgerkrieg in Angola zu beenden, hatte der UN-Sicherheitsrat 1998 die Ausfuhr von Diamanten aus dem Land eingeschränkt. Gleiches galt für Sierra Leone und den Kongo. 2003 reagierten die Länder im südlichen Afrika mit dem Kimberley-Prozess, an dem sich inzwischen 54 Länder weltweit beteiligen. Über staatliche Herkunftszertifikate soll der Handel mit Konflikt-Diamanten unterbunden werden.

Marie Müller-Koné vom Bonner International Center for Conversion war von 2010 bis 2012 als zivilgesellschaftliche Beobachterin beim Kimberley-Prozess. Auch sie sieht ein Problem in der Definition von Konflikt-Diamanten: "Die Situation im Kongo zum Beispiel ist problematisch. Es gibt tägliche Kriminalität von bewaffneten Gruppen, die nicht politisch sind und die Schürfer drangsalieren. Die Situation ist nicht viel besser als in einer Kriegsökonomie, aber Diamanten von dort gelten nicht als Konflikt-Diamanten, weil die Definition des Kimberley-Prozesses so eng ist." Menschenrechtsverletzungen fallen nicht darunter. "Beispielsweise reichen die Löhne der Schürfer oft gar nicht zum Überleben", erzählt Anne Jung. Und in Simbabwe wisse man gar nichts über die Arbeitsverhältnisse, so großräumig abgesperrt seien die Minen.

Doch die Bestrebungen, etwas an der Definition zu ändern, verliefen bislang im Sand. "Als ich im Kimberley-Prozess war, gab es Reformbestrebungen und Diskussionen von einigen Staaten, Unternehmen und von der Zivilgesellschaft, um das zu ändern. Aber andere Staaten haben es vollkommen abgeblockt", erzählt Marie Müller-Koné. Trotzdem sieht sie den Kimberley-Prozess positiv: "Ein großer Vorteil ist, dass so viele Staaten Mitglieder sind, die so viel geografische Fläche und Marktumfang abdecken. So herrscht ein größerer Druck, dem Kimberley-Prozess beizutreten und sich den Regeln entsprechend zu verhalten."

Ein Problemland, das den Kimberley-Prozess aktuell beschäftigt, ist die Zentralafrikanische Republik. Dort übernahmen Rebellen 2013 die Macht. Die Gewalt in dem Land dauert an. Der Kimberley-Prozess verhängte einen Exportstopp für Diamanten - und dazu einen Arbeitsplan, was sich alles ändern muss, damit wieder exportiert werden darf. "Der Inhalt war, die sauberen Diamanten von den schmutzigen zu trennen", so Marie Müller-Koné.

Problematisch sieht sie die Vereinigten Arabischen Emirate. "Sie sind ein neuer Umschlagplatz für Diamanten und nicht dafür bekannt, dass sie genug prüfen, ob sie Konflikt-Diamanten kaufen - obwohl sie Kimberley-Mitglied sind." Deshalb könne nicht ausgeschlossen werden, dass hier Zentralafrikanische Diamanten gehandelt wurden. Müller-Koné weiß: "Sie sind ein schwaches Glied in der Handelskette, aber ein sehr großer Umschlagplatz."