San José Chiapa
Das Werk in der Pampa

24.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:04 Uhr

Der Audi-Highway: Auch der Staat investiert für das neue Werk.

San José Chiapa (DK) Im mexikanischen Werk San José Chiapa will Audi ab 2015 den Q5 produzieren und damit den nordamerikanischen Markt erobern. Wo vor Kurzem noch Sumpf war, entsteht auf 400 Hektar das modernste Werk des Konzerns. Ein Besuch in einer Welt der Gegensätze.

 Der Bus muss gute Achsen haben. Alle paar Meter spüren die Fahrgäste die Erschütterung, wenn die Reifen wieder auf eines der Schlaglöcher auf der Strecke treffen. Der Bus bleibt auf seinem Kurs, vorbei an den Feldern, halb fertigen betongrauen Häusern, die nur durch die draußen hängende Wäsche und abenteuerlich verknotete Strom- und Telefonleitungen als bewohnt erkennbar sind. Offenbar muss nur der für seinen Besitz Steuern zahlen, dessen Haus fertiggebaut ist. Und so fehlen an fast jedem Gebäude noch irgendwelche Elemente, verputzt ist kaum ein Haus. Die Bewohner der Dörfer sitzen derweil am Straßenrand und beobachten den Verkehr – und es herrscht viel Verkehr. Vor allem wegen des Audi-Werks, des verheißungsvollen Audi-Werks in San José Chiapa.

 

In dem 8000-Einwohner-Ort im Südosten Mexikos lebten die Menschen bisher überwiegend von der Landwirtschaft, wie in der ganzen Gegend. Doch jetzt haben sich die Bedingungen verändert. Die neue Regierung des Bundesstaats Puebla hat eine Polizeistation im Ort gebaut, eine neue Feuerwehr, ein Krankenhaus und eine neue Straße, alle sprechen vom „Audi-Highway“, denn die Straße führt direkt zum Werk. Auch eine Zugverbindung und neue Wohngebiete sind geplant. Viele Millionen hat die Regierung um Gouverneur Rafael Moreno Valle in das Projekt gesteckt, das der Region Wohlstand und direkt wie indirekt mit der Autobranche verbundene Arbeitsplätze bescheren soll. Und das nicht erst, wenn das Werk fertig ist.

Die Gebäude sieht man schon von Weitem, bis Ende des Jahres sollen sie wetterfest sein, damit innen die Anlagen installiert werden können. 2000 Bauarbeiter sind jeden Tag auf der gigantischen Baustelle – auf 400 Hektar entsteht 2400 Meter über dem Meeresspiegel das modernste Werk, das Audi je gebaut hat. Rund eine Milliarde Euro investiert der Konzern.

„Wir haben viel Platz“, sagt Carl Bundschuh, der Leiter der Werkplanung. Rund 25 Deutsche arbeiten auf der Baustelle, dazu ein paar Spanier, der Rest sind Mexikaner. „Die sind handwerklich sehr gut, man muss ihnen aber erklären, wo die Latte der Qualität liegt“, sagt Bundschuh. Auch die Mentalität sei anders. Dass der deutsche TÜV die Baustelle überwacht und Helmpflicht und beim Arbeiten in 20 Metern Höhe Absicherung verlangt, das hätten die Mexikaner zunächst nicht verstanden, sagt Bundschuh. „Aber dadurch gab es bisher auch keine größeren Unfälle.“

Der Zeitplan ist eng, im Mai 2015 soll im Werk schon die Vorproduktion des neuen Q5 beginnen, der dann ab 2016 für den Weltmarkt gebaut werden soll. Das aktuelle Modell wird im Ingolstädter Werk gebaut, zum Ausgleich soll im Stammwerk der neue Q1 produziert werden.

3800 Mitarbeiter will Audi Mexiko zum Produktionsstart haben, bis jetzt sind 1000 eingestellt. „Wir hatten 70 000 Bewerbungen aus ganz Mexiko“, sagt Florian Otto, Sprecher von Audi Mexiko. „95 Prozent von Personen mit Hochschulabschluss.“

Und um diese Mitarbeiter auf die Arbeit einzustimmen, hat der Konzern zusammen mit der Regierung von Puebla und der Universidad Tecnológica de Puebla ein 20 000 Quadratmeter großes Trainingscenter gebaut und in dieser Woche eröffnet (wir berichteten) – allein Audi hat 40 Millionen Euro in das Center investiert. Jedes Jahr sollen dort künftig 1500 Schulungen für Mitarbeiter und Auszubildende stattfinden. Audi plant auch einen dualen Studiengang.

Für viele Audi-Mitarbeiter wird das Auto, das sie bald in 48 Stunden pro Woche bauen werden, allenfalls ein Traum bleiben, trotz Mitarbeiterrabatten. „Der durchschnittliche Mexikaner wird sich den Audi nicht leisten können“, sagt Johannes Hauser, Geschäftsführer der Deutsch-Mexikanischen Industrie- und Handelskammer. Denn das Durchschnittsjahreseinkommen beträgt in Mexiko 10 000 Dollar. Auch wenn die Lebenshaltungskosten geringer als in Deutschland sind, ist das nicht viel.

Ein Industrievorarbeiter dürfte zwischen 1000 und 1200 Dollar im Monat verdienen, schätzt Hauser. Normale Arbeiter entsprechend weniger. Wie viel Audi zahlt, das will der Konzern nicht preisgeben. „Die Arbeitskosten bewegen sich auf lokalem Niveau“, erklärt Personalvorstand Thomas Sigi nur.

Ohnehin ist nicht Mexiko der Hauptabsatzmarkt für Audi, sondern Nordamerika. Dorthin soll der Großteil der jährlich 150 000 produzierten Autos gehen. Mit der Produktion in Mexiko umgeht Audi Schutzzölle, denn das Land hat mit den USA und Kanada 1994 die Freihandelszone NAFTA vereinbart. Doch auch Mexiko profitiert vom Interesse der Automobilbranche: Mexiko, das Land, von dem man in Deutschland meist nur hört und liest, wenn wieder Menschen im Drogenkrieg sterben, Studenten verschleppt oder Korruptionsindizes veröffentlicht werden, ist inzwischen die vierzehntgrößte Volkswirtschaft der Welt.

„Man hat in Deutschland ein ganz falsches Bild von Mexiko“, sagt Matthias Janda, der mit seiner Frau Gamze seit Ende Juni dort lebt. „Kriminalität gibt es schon, aber wo gibt’s das nicht“ Die beiden Ingolstädter leben – wie viele andere in der Autobranche beschäftigte Ausländer – im Stadtteil Angelopolis in Puebla, der Hauptstadt des gleichnamigen Staates, rund 70 Kilometer vom Werk in San José Chiapa entfernt. Sie arbeitet für den Zulieferer FFT, er für Audi. Drei Jahre wollen sie in Mexiko verbringen. „Ich find’s genial“, sagt Matthias Janda. „Die ersten drei Monate waren wir ohne Internet, das Möbelgeschäft sagt, die Möbel kommen am Montag, sie sind aber erst am Mittwoch da, aber egal. Das Lebensgefühl ist entspannter.“

Viele junge Leute leben in der Stadt, die Jandas haben sich schon mit einigen Mexikanern angefreundet. „Es ist sehr familiär“, sagt Gamze Janda. Sie haben sich auf das Land, in dem die sozialen Gegensätze immer noch stark sind, eingestellt – und das honorieren auch ihre Gastgeber: „Im Restaurant stand einmal ein älterer Mexikaner auf und sagte: ,Vielen Dank für euren Respekt vor meiner Kultur und für das ehrliche Interesse.’“, sagt Matthias Janda.