Pfaffenhofen
Lachen gegen den Krebs

03.02.2016 | Stand 02.12.2020, 20:14 Uhr

Ein Modell vom Inneren des Darms zeigt, wie sich aus Polypen Darmkrebs entwickeln kann.

Pfaffenhofen (DK) Vor eineinhalb Jahren diagnostizierten die Ärzte bei dem Pfaffenhofener Thomas Röder Darmkrebs. Doch der Polizist verlor nie die Hoffnung, auch als er einen zweiten Tiefschlag erlebte. Heute ist er wieder weitgehend geheilt.

Es gibt Fotos, auf denen lächelt man nicht. Thomas Röder tut es trotzdem. Er strahlt mit dem Chemotherapie-Beutel vor der Brust, beinahe wirkt es, als koche er gleich über vor Freude. Er lacht dem Krebs ins Gesicht. Das Foto stammt aus dem Sommer 2014, kurz nach der Diagnose, die viele Menschen vollkommen aus dem Leben wirft: Darmkrebs im fortgeschrittenem Stadium, die Tumorzellen haben sich bereits durch die Darmwand gearbeitet. An den Tag der Diagnose erinnert er sich noch genau: Nur weil sein Zahnarzt ihm wegen einer Kieferentzündung Antibiotika verschreibt und daraufhin seine Darmfunktion kollabiert, untersucht eine Ärztin ihn genauer und stellt ihm die folgenreiche Diagnose. Röder fragt sich in diesem Moment nicht, warum gerade ihm das passiert. Ihm, dem Polizeiermittler, Stadt- und Kreisrat, Vater von zwei Kindern, der bisher im Leben alles bekam, was er wollte. "Ein paar Sekunden hatte ich Chaos im Hirn. Ich dachte: Na gut, die Kinder sind aus dem Gröbsten raus, große Wünsche habe ich nicht und von heute auf morgen passiert mir sowieso nichts."

Noch viele andere Dinge gehen dem 53-Jährigen durch den Kopf, doch er denkt nicht: "Ich werde sterben" oder "Das wird die schlimmste Zeit meines Lebens". Stattdessen geht er mit seiner Frau nach Hause und tut das, was er sowieso getan hätte: Abendessen, einen Film schauen. "Es mag skurril klingen, aber ich habe gelacht, als ich den Film sah." Seine Frau Ulrike nimmt die Diagnose nicht ganz so gelassen auf: "Es war ein Schock. Ich fragte mich, was wird passieren, wie sieht die Zukunft aus" Gleichzeitig sei ihr aber klar geworden, dass nun alles Schritt für Schritt gehe.

Sein Hausarzt gibt ihm zwei Tipps, an die der Polizist sich hält: "Schaue nicht ins Internet und rede über deine Krankheit." Röder spricht mit seinen Kindern, die heute 19 und 24 Jahre alt sind - sie nehmen es ruhig auf, schließlich ist auch ihr Vater ruhig. "Er hat nie gejammert", sagt seine Frau.

Auch nicht, als er erfährt, dass er nun erst einmal mit einem künstlichen Ausgang leben muss und die Ärzte ihm das weitere Vorgehen eröffnen: Sie wollen operieren, aber vorher soll der Krebs so gut wie möglich bekämpft werden. Fünf Wochen lang macht Röder rund um die Uhr Chemotherapie, kombiniert mit täglicher Bestrahlung. Röder hat während dieser Zeit weder Angst vor dem Tod noch vor den Schmerzen. Im Gegenteil: Er fühlt sich gut. "Klar, ich war mal müde und konnte mich manchmal schwer konzentrieren." Sonst habe sein Körper die Therapie gut überstanden.

Röder ist viel unterwegs, trifft Leute in der Stadt, geht spazieren, oft begleitet ihn seine Frau. Die beiden machen Ausflüge, besichtigen Denkmäler, gehen essen, genießen. "Ich habe während der Chemotherapie zehn Kilo zugenommen", sagt Röder. Ab und an besucht er seine Eltern, die weniger Geduld haben als er. Er beruhigt sie mit seinen Besuchen, nimmt ihnen die Angst.

Ihm ist klar, dass seine Handlungen vorbildlich klingen, doch er sagt auch: "Ich will nicht als Held dastehen." Das alles hätte auch ganz anders laufen können, etwa, wenn die Kinder noch kleiner gewesen wären. Vielleicht hätte ihn das umgeworfen.

Doch so bleibt Röder einfach der, der er ist: Der Mann, der seine Freunde trifft und mit ihnen über seinen Krebs redet. Der auch Verständnis hat für die, die ihn nun mit Abstand behandeln. "Manche sind mir aus dem Weg gegangen, die konnten einfach nicht damit umgehen." Der Mann, der nachts aufwacht und an seine Arbeit oder an seine Frau denkt, nicht aber an den Krebs.

Selbst dann, als ein guter Freund an Speiseröhrenkrebs erkrankt, denkt er an die guten Dinge. Fortan unterstützen die beiden sich gegenseitig. "Wir haben viel telefoniert. Ich baute ihn auf, wenn er sich hängen ließ."

Röders Behandlung ist extrem wirksam. Bei einer Kernspin-Untersuchung finden die Ärzte keinen Krebs mehr. "Allerdings sind die Zellen auch nicht sichtbar", sagt der Ermittler. Er soll trotzdem operiert werden, danach kommt die nächste Chemotherapie. Statt sich über Risiken bei der OP Gedanken zu machen, feiert das Ehepaar den Erfolg.

Die beiden Freunde lassen sich gleichzeitig operieren. Wieder läuft bei Röder alles gut, die Erfahrung stärkt ihn und schwächt seinen Krebs. Die beiden Familien gehen zusammen in die Reha-Klinik, sie wollen gemeinsam wachsen und die Krankheit besiegen.

Doch es kommt anders. Sein Freund stirbt im vergangenen Jahr an seinem Krebs. "Das war der einzige Tiefschlag", sagt Röder. Er hat nicht nur einen guten Freund verloren. Er sieht auch, wie tödlich der Krebs sein kann. Fortan kämpft der Polizist alleine weiter. Nach der Operation muss er vier Monate lang einmal in der Woche die Chemotherapie wiederholen. Während dieser Zeit meidet er große Menschenmengen. "Ich durfte mich auf keinen Fall anstecken. Wenn ich im Stadtrat war, sagte ich meinem Nachbarn, er solle mich anrufen, wenn er erkältet ist, dann käme ich nicht. Das ist auch heute noch in mir."

Wieder geht alles gut: Die Ärzte finden keinen Krebs, inzwischen wurde Röder auch der künstliche Ausgang wieder entfernt. Auch die zweite Nachuntersuchung im Januar verläuft wie erhofft. Trotzdem bleibt er realistisch: "Ich weiß, dass Krebs tödlich sein kann." Zwar habe er sehr gute Aussichten, aber wirklich sicher könne man erst in fünf Jahren sein.

Bis dahin wird er sich trotzdem keine Sorgen machen. "Wir müssen damit leben lernen", sagt seine Frau, und meint damit die ganze Gesellschaft. "Es gibt heute enorme Fortschritte in der Krebsforschung", sagt der Stadtrat, "die Heilchancen werden immer besser." Er wünscht sich einen "normalen" Umgang mit Krebs.

Zumal die Krankheit auch positive Auswirkungen habe. Heute nehme er zum Beispiel vieles gelassener als früher, gerade in der Politik. Er sei einfach lockerer geworden, weniger verbissen. "Heute schmunzle ich, wo ich mich früher aufgeregt habe." Doch aufgeregt hat sich Röder in seinem Leben ohnehin eher selten. Sein Lebensmotto, so der Polizist, hat er sich an die Wand in seinem Badezimmer geklebt. Es ist ein Satz von Carl Valentin: "Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch."