Nürnberg
"Die Vergabe an Katar war schon damals klar ein Fehler"

Sylvia Schenk, Sportbeauftragte bei Transparency International und ehemalige Leichtathletin, über die Fußballweltmeisterschaften 2018 und 2022

17.01.2016 | Stand 02.12.2020, 20:19 Uhr

Nürnberg (DK) Moderne Sklaverei, tausende Tote auf den Baustellen, ohne dass sich die Bedingungen verbessern - die Kritik an Katar, dem Ausrichter der Fußballweltmeisterschaft 2022, ist unverändert laut. Das wurde auch beim Kongress "Fußball und Menschenrechte" am Wochenende in Nürnberg deutlich. Sylvia Schenk, Juristin, ehemalige Leichtathletin und Sportbeauftragte bei Transparency International, im Gespräch über die Missachtung der Menschenrechte in Katar und in Russland und über Verantwortung.

Frau Schenk, war es ein Fehler, die nächsten Fußballweltmeisterschaften nach Russland und Katar zu vergeben?

Sylvia Schenk: Aus heutiger Sicht schon. Im Nachhinein wäre die Fifa sicher froh, sie hätte die Entscheidungen nicht getroffen. Zum damaligen Zeitpunkt aber, also Ende 2010, wollte man, dass Russland und Europa näher zusammenrücken. Daher war es durchaus eine sinnvolle Vergabe. Auch unter dem Gesichtspunkt, dass Russland Fußballland und ein großer Markt ist. Trotzdem hätte man im damaligen Vertrag die Menschenrechte berücksichtigen müssen.

 

Und Katar?

Schenk: Die Vergabe an Katar war schon damals klar ein Fehler. Im Grunde aber muss man auch sehen, dass durch diese Entscheidung das Thema Migrantenarbeit endlich auf der internationalen Agenda steht. Denn der Bauboom dort hat schon Anfang des Jahrtausends begonnen. Es waren unter anderem deutsche, kanadische und amerikanische Firmen, die von diesem Boom richtig profitiert haben und kein Mensch - auch nicht in Deutschland - hat sich um die Situation der Arbeiter gekümmert. Mit der Vergabe aber wollte Katar in die Weltöffentlichkeit. Das haben sie bekommen - im positiven und vor allem im negativen Sinn. Nun sieht die Welt die Defizite dort. Und das ist die Chance, den Migrantenarbeitern zu helfen.

 

In welcher Verantwortung stehen die ausländischen Firmen?

Schenk: Sie standen schon immer in der Verantwortung und konnten wunderbar darüber hinwegsehen, da das Thema nie diskutiert wurde. Jetzt segeln die Firmen leider etwas im Windschatten der Fifa, die die Prügel abkriegt. Durchaus auch zu Recht, denn die Fifa hätte sensibler sein müssen und müsste jetzt mehr Druck ausüben. Aber die Firmen müssen auch etwas tun. Übrigens ebenso wie die Länder, aus denen die Arbeiter kommen. Länder wie Nepal sind froh, dass ihre Staatsbürger dort Geld verdienen. Davon leben weite Teile der Familien und der Wirtschaft in Nepal. Aber niemand hat sich darum gekümmert, wie es den Arbeitern in Katar geht.

 
 

Und was sind die großen Probleme in Russland?

Schenk: Da haben wir eine ganze Reihe von Menschenrechtsproblemen. Wir haben eine zunehmende Repression, wir haben Rassismus und Hooliganismus gerade unter Fußballfans. Wir haben eine hohe Korruption. Die Pressefreiheit ist eingeschränkt. Nichtregierungsorganisationen sind einem hohen Druck ausgesetzt oder dürfen gar nicht mehr arbeiten. Andererseits müssen wir schauen, dass es zu einem irgendwie gearteten Ausgleich mit Russland kommt, wenn wir ein friedliches Europa wollen. Das verlangt politisches Fingerspitzengefühl, das weit über das hinausgeht, was ein Fußballweltverband leisten kann.

 

Könnten nicht die Sponsoren versuchen, über die Fifa Einfluss zu nehmen?

Schenk: Die Sponsoren haben in den letzten drei, vier Jahren überhaupt erst begonnen, sich zu Wort zu melden. Adidas, Coca-Cola, Visa, McDonalds und Anheuser-Busch arbeiten im Verbund zusammen und versuchen, in internen Gesprächen, aber auch mal in der Öffentlichkeit Druck auszuüben.

 

Haben Sie das Gefühl, dass dieser Verbund etwas anstößt?

Schenk: Ja, sie stoßen bei der Fifa etwas an. Und es stärkt natürlich die Situation der Fifa gegenüber den Ländern, wenn sie sagen können: "Wir haben Druck von unseren Sponsoren." Aber das sind Prozesse, die etwas Zeit brauchen.

 

Von wie vielen Jahren sprechen wir da?

Schenk: Für Russland kommt es eigentlich schon zu spät. Dort brauchen wir Mindeststandards, damit Fans, die hinfahren, nicht diskriminiert werden und sicher sind.

 

Wie sieht es für Katar aus?

Schenk: Für Katar muss der internationale Druck aufrechterhalten werden. Eine Delegation der Internationalen Arbeitsorganisation wird sich demnächst die Zustände dort anschauen. Ich erwarte, dass da einiges mehr passiert. Man wird aber nicht von heute auf morgen für alle 1,3 Millionen Arbeiter bessere Unterkünfte haben. Jetzt gibt es 70 000 neue, das reicht natürlich nicht, aber es sind immerhin 70 000. Es wäre auch wichtig, dass sich die rechtliche Situation verbessert und internationalen Standards entspricht.


Der einzelne Fan steht dem hilflos gegenüber, oder?

Schenk: Er kann seine Meinung artikulieren. Wenn zum Beispiel Karl-Heinz Rummenigge sagt, die in Katar hätten halt eine andere Kultur und ein Trainingslager sei keine politische Äußerung, dann können auch Fans reagieren.

 

Sollte man als Fan nach Russland oder Katar fahren?

Schenk: Ich glaube, es ist immer besser, hinzufahren. Man kann versuchen, mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Ich weiß zum Beispiel von den Olympischen Winterspielen in Sotschi, dass dort zahlreiche Freiwillige im Einsatz waren, die es als ungeheuer positiv empfunden haben, mit einem Deutschen oder Engländer zu reden. Und das ist wichtig. Sport bietet eine Bühne der Begegnung in einer Welt, in der immer mehr auseinanderfällt. Sport kann verbinden. Diese Chance müssen wir erhalten, ohne die Forderung nach Menschenrechten aufzugeben.

 

Das Interview führte Sandra Mönius