Ingolstadt
''Am schlimmsten ist Kontinuität im Irrtum''

Ministerpräsident Horst Seehofer will, dass CDU und CSU ihre Positionen zum Datenschutz grundsätzlich hinterfragen

10.07.2013 | Stand 02.12.2020, 23:55 Uhr

Horst Seehofer - Foto: oh

Ingolstadt (DK) Es sind Äußerungen, wie man sie von der Spitze der Union noch nie gehört hat: Angesichts des jüngsten Abhörskandals um US-amerikanische und britische Geheimdienste sollten auch CDU und CSU ihre Positionen zum Datenschutz grundsätzlich überdenken, sagt der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer im Interview mit unserer Zeitung. Selbst das Thema Vorratsdatenspeicherung, seit Jahren Lieblingskind konservativer Sicherheitspolitiker, dürfe da nicht tabu sein.

Mit Seehofer sprachen Gerd Schneider, Stefan König und Til Huber.

Herr Seehofer, hätten Sie die jüngsten Enthüllungen über Abhöraktionen amerikanischer und britischer Geheimdienste für möglich gehalten?

Horst Seehofer: Nein. Das ist ein Datendesaster. Dass in diesem Umfang ohne irgendwelche rechtlichen Grundlagen Daten abgefischt werden, hätte ich nicht für möglich gehalten. Vor einem halben Jahr hätte ich gesagt: Das schließe ich aus.

Sie haben angeregt, die Union solle noch einmal über ihre Politik zum Datenschutz nachdenken – etwa über die Vorratsdatenspeicherung. Deutet sich ein Kurswechsel an?

Seehofer: Die Datenspionage, die aufgeflogen ist, sollte für jeden verantwortlichen Politiker Anlass sein, über den Schutz von persönlichen Kommunikationsdaten neu nachzudenken. Natürlich müssen wir uns auch überlegen, was verbessert werden muss. Auch die Situation in Deutschland müssen wir noch einmal sehr genau anschauen.

Was meinen Sie genau?

Seehofer: Wir müssen aufpassen, dass nicht durch die schiere Masse an Daten die Wahrscheinlichkeit steigt, dass diese Daten Füße bekommen und missbraucht werden. Und wir müssen uns fragen, ob die Dinge alle so geregelt sind, dass wir der Bevölkerung sagen können: Ihr könnt euch auf den Schutz eurer Privatsphäre verlassen. Diese Diskussion wollte und will ich anstoßen.

Heißt das, Sie würden auch die Vorratsdatenspeicherung in ihrer derzeit geplanten Form noch einmal überdenken?

Seehofer: Es darf nicht dazu führen, dass sich der Staat wehrlos und blind gegenüber Schwerstverbrechen macht. Deshalb muss es unter strengen rechtsstaatlichen Voraussetzungen die Möglichkeit geben, dass Sicherheitsbehörden Datenzugriff haben, um schwerste Verbrechen zu verhindern oder aufzuklären. Aber auf der anderen Seite darf es auch nicht zu einem Überwachungsstaat führen, in dem wir glauben, die Dinge im Griff zu haben, sie uns aber in Wirklichkeit aus den Händen gleiten. Wir brauchen ein Neujustieren bei der Abwägung von Freiheit und Sicherheit. Ich halte den Reflex: Wir haben das immer vertreten und deshalb müssen wir das jetzt auf jeden Fall weiter vertreten, für falsch.

CSU und CDU treten seit Jahren für die Vorratsdatenspeicherung ein. Mit ihrem Vorstoß machen sie sich bei den eigenen Leuten nicht nur Freunde.

Seehofer: Ich finde, an dieses Thema sollte man mit einer geistigen Offenheit herangehen. Am schlimmsten ist in der Politik die Kontinuität im Irrtum. In der Güterabwägung Sicherheit und Freiheit müssen Sie , wenn es neue Erkenntnisse gibt, in der Vergangenheit getroffene Entscheidungen überprüfen.

Haben Sie schon mit Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel darüber gesprochen?

Seehofer: Ja. Da sind wir völlig im Konsens. Schutz vor Verbrechen und Schutz der persönlichen Daten sind gleichermaßen wichtig.

Muss sich im Verhältnis zu den USA etwas ändern?

Seehofer: Es reicht nicht, zu sagen: Wir dürfen jetzt das transatlantische Verhältnis nicht belasten. Das Mindeste, was bei den anstehenden Gesprächen erreicht werden muss – auch in den Beziehungen zu Freunden – ist, dass die Datenschutzgrundlagen, die für uns Standard sind, auch im internationalen Verkehr gelten. International muss die Grundregel gelten, dass ausländische Behörden sich an deutsches Recht halten müssen, wenn die Daten hier gespeichert sind. Da hat auch die Europäische Union eine große Aufgabe. Sie sollte sich nicht um die Trinkwasserversorgung in Ingolstadt kümmern, sondern um diese großen Fragen.

Auf den offenen Brief auf unserer Titelseite haben wir hunderte Zuschriften von Lesern bekommen. Dabei kam vor allem zum Ausdruck, dass die Menschen sich mehr Schutz wünschen.

Seehofer: Das Schutzbedürfnis der Bevölkerung erfahre ich jeden Tag. Die Bevölkerung hat einen Anspruch darauf, dass man das sorgfältig abwägt. Niemand von uns will, dass durch den unbeschränkten Zugriff auf persönliche Daten die gesamte Privatsphäre offengelegt wird.

Sie sagen, Sie sind für die Bevölkerung tätig. Sehen Sie sich als Dienstleister?

Seehofer: Ja. Wir sind ja 2008 mit diesem schlechten Wahlergebnis bestraft worden, weil wir aus der Sicht der Bevölkerung zu abgehoben waren. Das haben wir verstanden und dann muss man auch etwas ändern. Personell, inhaltlich, aber auch im Stil. Wir üben keine Herrschaft aus, sondern leisten einen Dienst für die Bevölkerung. Jedem Mandatsträger meiner Partei empfehle ich im Umgang mit den Menschen: zuhören, verstehen, handeln. Das ist ein zuverlässiger Kompass für Politik. Dass wir in der Bevölkerung wieder Vertrauen gewonnen haben, ist auch auf diesen Politikstil zurückzuführen.