Ingolstadt
''Bundesweit auf dem Tiefstand''

Thomas Breidenbach, Arzt bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation, im Interview

09.11.2017 | Stand 23.09.2023, 2:48 Uhr

Ingolstadt (DK) Mehr als 10 000 Menschen warten in Deutschland auf ein Spenderorgan. Die Zahl der Organspender bleibt aber weiter auf einem niedrigen Niveau, wie aus den Statistiken der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) hervorgeht. Wie lässt sich dieser Trend erklären? Im Interview beantwortet Thomas Breidenbach, geschäftsführender Arzt der DSO für Bayern, diese und weitere Fragen.

Herr Breidenbach, liegt die Organspende in Deutschland am Boden?

Thomas Breidenbach: Ja, bundesweit ist die Zahl der Organspenden auf einem Tiefstand. Erfreulicherweise ist in Bayern die Bilanz in den bisherigen Monaten dieses Jahres besser als im vergangenen Jahr.

 

Woran liegt es, dass immer weniger Menschen bereit sind, ihre Organe nach dem Tod zu spenden?

Breidenbach: Ich denke nicht, dass immer weniger Menschen bereit sind, ihre Organe zu spenden. Die Umfragen verdeutlichen, dass unverändert zirka 80 Prozent der Deutschen hinter der Organspende stehen. Die Probleme liegen unserer Erfahrung nach viel eher in der Umsetzung der Organspende in den Krankenhäusern. Zum einen ist eine Organspende ein relativ seltenes Ereignis in vielen Krankenhäusern, das heißt, es wird häufig schlichtweg nicht an die Möglichkeit gedacht. Andererseits gibt es oft Wissenslücken, wer als Organspender infrage kommt. Erschwerend kommt dann noch die zunehmende Arbeitsverdichtung in den Kliniken dazu. Daten aus einer großen Umfrage haben weiterhin gezeigt, dass das Klinikpersonal in vielen Krankenhäusern aufgrund des Transplantationsskandals (Anm. d. Red: Im Jahr 2012 wurde publik, dass Ärzte an mehreren deutschen Universitätskliniken Daten manipuliert haben, um ausgewählte Patienten bevorzugt mit Spenderorganen zu versorgen) verunsichert oder gar verärgert ist. Das persönliche Engagement für die Organspende hat deshalb bei einigen Ärzten und Pflegekräften sicherlich nachgelassen.

 

Wie lässt sich der Trend stoppen?

Breidenbach: Ich glaube, ein ganz wichtiger Punkt ist zu begreifen, dass Werbung für Organspende nicht zum Erfolg führt. Das konnten wir im Rahmen eines EU-Projekts wissenschaftlich zeigen. Dies sollte allerdings nicht mit Information und Aufklärung verwechselt werden, denn diese ist wichtig, damit die Menschen eine bewusste Entscheidung treffen können. Es gibt viele Maßnahmen, von denen ich hier nur einige nennen möchte: Die Strukturen müssen so gestaltet werden, dass Organspende keine Belastung für das Krankenhaus ist, weder finanziell noch personell. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, das gesamte Krankenhauspersonal in Bezug auf Organspende zu schulen. Damit wir uns in Deutschland allerdings wirklich an das internationale Niveau angleichen, fordert die DSO einen Initiativplan zur Förderung der Organspende.

 

Im europäischen Vergleich liegt Deutschland weit hinten. Auf eine Million Einwohner kommen hierzulande nur 10,6 Spender. Spanien bringt es auf eine Quote von 43,8. Warum?

Breidenbach: Es gibt viele Gründe, weshalb Spanien Spitzenreiter ist. Die Spanier haben zum einen hochmotivierte, gut geschulte Personen in den Krankenhäusern, die sich hauptamtlich um die Organspende kümmern. Zum anderen ist das gesamte Intensivpersonal in puncto Organspende in Spanien sehr gut geschult. Die immer wieder geforderte Widerspruchslösung spielt sicher auch eine Rolle (Anm. d. Red: In Spanien und vielen europäischen Ländern ist jeder Organspender, es sei denn er widerspricht. In Deutschland ist nur Organspender, wer zu Lebzeiten zugestimmt hat. Liegt keine Entscheidung vor, werden die Angehörigen nach dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen gefragt). Sie ist aber nicht das Allheilmittel, um die Zahl der Organspender zu erhöhen. Wenn Ärzte im Krankenhaus gar nicht erst fragen, ob der Verstorbene Organspender sein wollte, dann spielt es keine Rolle, ob man die Widerspruchslösung hat oder nicht.

 

Er ist klein und kann doch so Großes bewirken: der Organspendeausweis. Warum ist dieses kleine Stück Papier so wichtig?

Breidenbach: Die DSO weiß aus vielen Gesprächen, dass den Angehörigen eine Entscheidung bezüglich Organspende leichter fällt, wenn sie wissen, was ihr Verstorbener gedacht hat. Der Schock über den plötzlichen Tod eines geliebten Menschen sitzt bei den Angehörigen sowieso tief und sie leiden extrem darunter. Und dann werden sie noch mit der Frage nach Organspende konfrontiert und haben Angst, eine falsche Entscheidung zu treffen – in die eine oder andere Richtung. Diese Unsicherheit kann man den Angehörigen nur nehmen, wenn man selber zu Lebzeiten auf einem Organspendeausweis festgehalten hat, ob man seine Organe spenden möchte oder nicht. Wichtig ist aber auch, dass man mit seinen Angehörigen im Vorfeld über Organspende spricht.

Die Fragen stellte Xenia Schmeizl.

Xenia Schmeizl