Ingolstadt
"Ich habe Angst um die Demokratie"

Monika Müller-Braun stammt aus Österreich und lebt in Ingolstadt: Mehr als die Schmutzkampagnen stört sie die Inhaltslosigkeit des Wahlkampfs

12.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:22 Uhr

Monika Müller-Braun hat schon gewählt. - Foto: Hammer

Ingolstadt (DK) Manchmal ist Monika Müller-Braun froh, in Deutschland zu leben und nicht in ihrer Heimat Österreich. Gerade jetzt, so kurz vor der Wahl, verstärkt sich dieses Gefühl. Das liegt jedoch nicht an der Dirty-Campaigning-Affäre. "Ich weiß schon länger, wie schmutzig in den Parteien gearbeitet wird", sagt die 59-Jährige, die in Ingolstadt lebt und von Beruf Personality-Coach ist. "Bei dieser politischen Inhaltslosigkeit sind die schmutzigen Geschichten ein Ersatz." Was die engagierte Frau viel mehr erschüttert: "Ich vermisse bei jeder Partei eine Idee von Zukunft. Da ist nur noch diese rot-weiß-rote Dirndl-Mentalität - als gebe es kein Morgen. Dabei steht unsere Gesellschaft doch vor einem Umbruch."

Nach ihrem Studium der Geschichte in Wien war die junge Frau Mitglied der SPÖ. "Man kommt in Wien schnell ins Zentrum der Macht: Ich kenne beispielsweise den jetzigen Kanzler Kern und seine Vorgänger. Aber diese Parteienkultur behagte mir schon damals gar nicht", erinnert sich Müller-Braun. Sie trat aus der Partei aus und wurde Coach. Bei VW in Wolfsburg lernte sie ihren heutigen Mann kennen und zog zu ihm nach Deutschland. In Ingolstadt ist die Österreicherin Mitglied im Migrationsrat und organisiert in der Stiftung "Jugend fragt" jedes Jahr mit anderen ein Integrationsprojekt für junge Leute.

Wie in ihrer Heimat von Teilen der Gesellschaft mit Flüchtlingen und Migranten umgegangen wird, schockiert Müller-Braun. "Was ich wahrnehme, ist ein ausländer- und fremdenfeindliches Geraune. Du führst ein unverfängliches Gespräch mit Leuten, mit denen du dich einvernehmlich fühlst. Und plötzlich kommt ein Satz - und du möchtest das Gespräch am liebsten sofort beenden." Erst neulich bei einem Abiturtreffen sei es ihr so ergangen: "Da freut man sich und schwelgt in alten Zeiten. Und plötzlich kommt so ein Hammer. Und am Ende ziehst du dich zurück aus der Mitte und stehst mit zwei Leuten, denen du noch vertraust, in einer Ecke."

Monika Müller-Braun beobachtet auch in Österreich eine Angst um kulturelle Identität. "Ich glaube schon, dass es diesen Identitätsverlust tatsächlich gibt, aber dafür ist jeder selbst verantwortlich. Oder diese Anonymisierung der Gesellschaft: Man kann heute doch alles ohne persönliche Kontakte erledigen. Fakt ist auch, dass es eine Umverteilung von unten nach oben gibt. Das alles mündet in einen diffusen Unmut, in eine Ohmacht. Und dann kanalisiert sich alles, und man sieht in dieses fremde Gesicht . . . "

In Österreich gebe es den Rechtspopulismus ja schon seit den 1980er-Jahren, erklärt die Historikerin. "Die SPÖ und die ÖVP haben immer nachgezogen. Heute hat das Land eines der strengsten Ausländergesetze, aber das hat die Volksparteien nicht gerettet. Das bringt nichts, den Rechten hinterherzuhecheln", meint Müller-Braun - auch mit Blick auf deutsche Politiker und die AfD. "Jeder weiß, dass die Leute das Original wählen. Deutschland hat die Chance, es besser zu machen."

Im österreichischen Wahlkampf und bei den vielen TV-Duellen sei es die meiste Zeit nur um Ausländer gegangen, kritisiert Müller-Braun. "Als ob es keine anderen Themen gebe - etwa die Digitalisierung oder die Globalisierung. Stattdessen streiten sich der Kurz und der Strache, wer die besseren Orban-Kontakte hat - gruselig."

Für die Frau aus Ingolstadt steht fest: "Sebastian Kurz von der ÖVP ist auf der Überholspur, und zwar rechts von der FPÖ." Mit ein Grund für seinen Erfolg sei auch eine Besonderheit ihrer Landsleute: "Den Österreichern gefallen diese pfiffigen, feschen, lässigen jungen Männer, die auch ein bisserl hedonistisch sind. Die verkörpern dieses Lust-Prinzip."

Die 59-Jährige hat ihr Kreuzerl schon gemacht. Sie rechnet damit, dass es nach der Wahl eine Koalition von ÖVP und FPÖ gibt - und einen "riesigen Rechtsruck". Sie sagt offen, wovor sie sich fürchtet: "Ich habe Angst um die Demokratie."