Leben mit der „Bauchmaschine“

In Deutschland werden jährlich 7000 Kinder mit Herzfehlern geboren – einer davon ist Philipp

04.09.2012 | Stand 03.12.2020, 1:06 Uhr
Für Philipp (links, mit seinem älteren Bruder Felix) ist das kein Problem mehr: Der Vierjährige trägt seit seinem zweiten Lebensmonat einen Herzschrittmacher. −Foto: Marco Schneider

Ingolstadt (DK) Es hätte alles normal laufen können. Schließlich galt das Ungeborene als vollkommen gesund. Am 15. Januar 2008 war Maria Glossner zum geplanten Kaiserschnitt in die Köschinger Klinik gekommen. Nach dem Kaiserschnitt war ihr neugeborener Sohn Philipp aber recht schnell weg – aus ihrem Arm genommen. Die im Blut gemessene Sauerstoffsättigung stimmte nicht.

Nach mehreren Untersuchungen – zuletzt mit einem Kinderkardiologen – war die Diagnose schnell klar: Bei Philipp liegt eine Transposition der großen Arterien vor. „Und was heißt das jetzt?“, sei die erste Frage an die Ärzte gewesen. Einfach ausgedrückt könnte man den Herzfehler so beschreiben: Philipps Blutkreislauf lief falsch herum, weil Körper- und Lungenschlagader aus der jeweils falschen Herzseite entspringen.

„Damit hätte Philipp ohne Operation vielleicht ein halbes Jahr überleben können“, sagt Maria Glossner heute – vier Jahre später. Neben ihr sitzt ein putzmunterer, blonder Junge. Ein Lausbub, wie ihn Wilhelm Busch wahrscheinlich nicht besser hätte erfinden können. „Mama, darf ich Fernsehschauen?“, fragt er. Darf er nicht. „Dann geh ich eben spielen.“ Wenn man ihn sieht, ist ihm nichts von alledem anzumerken, was er in den ersten Lebensmonaten durchgemacht hat.

Denn nach der Diagnose war eine Operation und damit auch eine Verlegung ins Deutsche Herzzentrum in München unumgänglich. Knapp vier Wochen nach seiner Geburt wurde Philipp ein erstes Mal in den Operationssaal im Herzzentrum geschoben. „Was habe ich mir Vorwürfe gemacht“, erzählt Maria Glossner. Gedanken, was in der Schwangerschaft falsch gelaufen sein könnte. „Mein Frauenarzt hat mir aber auch erklärt: ,Dieser Fehler im Herzen war von Anfang an da’.“ Trotzdem: Die Gedanken kreisten immer um das selbe Thema – ganz im Gegensatz zu ihrem Mann Jakob. Er ging die Sache rational an. „Das war so und ist jetzt so.“ Dennoch ist die Situation damals heute irgendwie nicht mehr inWorte zufassen.

Von damals ist heute nichts mehr zu spüren oder zu sehen. Lediglich der Schnitt, als man Philipp im zarten Alter von vier Wochen den Brustkorb geöffnet hat und die beiden großen Arterien vom Herzen abgetrennt und auf die jeweils „richtige“ Seite verpflanzt hat. Keine elf Tage später musste Philipp damals erneut in den Operationssaal: Er bekam einen Herzschrittmacher eingesetzt, weil eine Gefäßverletzung bei der ersten Operation passierte. „Das erste halbe Jahr war der Herzfehler dauerhaft präsent.“

Und heute? „Ich denke, wenn es hochkommt, zweimal im Jahr daran, dass Philipp herzkrank ist“, sagt Jakob Glossner. Im Kindergarten würde Philipp behandelt wie jedes andere Kind auch: „Normal.“ Und er ließe sich auch nichts anmerken. Nur seine „Bauchmaschine“, wie Philipp seinen Herzschrittmacher selbst nennt, die sei etwas Besonderes. Darauf sei er schon ein bisschen stolz. Genauso stolz übrigens wie Philipps älterer Bruder Felix. „Erhat jedem erzählt, dass sein Bruder etwas Besonderes ist“, sagt Maria Glossner im Rückblick.

Wie geht die Familie im Alltag damit um? Felix zum Beispiel passt auf seinen „besonderen Bruder“ gut auf: Weil in Philipps Nähe wegen des Herzschrittmachers keine Handys oder Magnetspielzeuge auftauchen dürfen, „weist er auch Erwachsene zurecht, wenn sie sich aus Unachtsamkeit nicht daran halten“. Die Eltern wissen um ihr Glück. „Wir leben nicht für den Herzfehler, sondern mit ihm.“ Das sei gut so – und eine Empfehlung für andere Eltern.

Auch wenn regelmäßige Kontrollen in München immer wieder daran erinnern: „Das ist keine Situation, den Kopf in den Sand zu stecken“, meint Maria Glossner. „Wir hatten Glück im Unglück, es gibt schlimmere Herzfehler.“ Eine Herzkrankheit des Kindes müsse man nicht zum Lebensinhalt machen. Heute läuft bei den Glossners alles normal – auch wenn es anfangs so gar nicht danach ausgesehen hat.