Ingolstadt
Im Kalender wird es eng

Fast jeder Tag ist irgendein Welt- oder Aktionstag Manche sind durchaus kurios

18.01.2017 | Stand 02.12.2020, 18:46 Uhr

Ingolstadt (DK) Raus aus dem Schlafanzug, rein in die Jogginghose - und das den ganzen Tag lang. Wer das ohnehin oft so macht, kann es am Samstag noch zusätzlich legitimieren, und auf den Internationalen Jogginghosentag verweisen. Den haben 2009 vier Gymnasiasten in Österreich begründet, indem sie ihre Mitschüler dazu aufriefen, am 21. Januar in Jogginghosen in den Unterricht zu kommen.

Die allgemeine Begeisterung wurde zur Schultradition, es folgte ein Aufruf auf Facebook, um mehr Anhänger zu gewinnen - und ein Social-Media-Phänomen nahm seinen Lauf. Immer mehr Menschen posteten witzige Fotos von sich in dem bequemen Kleidungsstück in unterschiedlichen Situationen. Wie auf der offiziellen Homepage zu lesen ist, spazieren mittlerweile Menschen in mehr als 50 Ländern in Jogginghosen in die Schule, ins Büro, ins Restaurant oder wo auch immer sie hinwollen.

 
Ein typisches Beispiel für die Entwicklung eines Aktionstages, der, abgesehen von der Gaudi der Teilnehmer, absolut sinnlos ist. Und es werden immer mehr. Die Kalender quellen über vor lauter Welt-, Gedenk- und Aktionstagen. Es gibt kaum mehr ein Datum, das nicht mit einer besonderen Bedeutung aufgeladen ist - von Staaten, der Kirche, Verbänden, Organisationen, Marketingexperten oder einfach nur Spaßvögeln.

Und so bekamen schließlich Sparer, Putzfrauen, Asthmatiker, Vegetarier, Migranten, Gehörlose, Witwen, Linkshänder und Seefahrer jeweils eigene Gedenktage. Gewürdigt werden Händewaschen, Küssen und Blutspenden. Gedacht wird Hunden, Katzen, Pinguinen und Schildkröten. Zu Ehren kommen humanitäre Hilfe, Datenschutz, Weltraumforschung und Verkehrssicherheit. Und - man mag es kaum glauben - auch Ufos, Cocktails und Butterbrote haben ihre Einträge im Kalender. Viele Gedenktage bewerben schlicht irgendetwas oder wollen die Menschen zum Konsum bewegen; als Paradebeispiel wird häufig der Valentinstag genannt, obwohl dieser eigentlich christlichen Ursprungs ist.

Bei lediglich 365 Tagen im Jahr bleiben auch Überschneidungen nicht aus. Am Samstag zum Beispiel ist neben dem Joggingshosentag auch Weltknuddeltag. Er wurde 1986 von zwei Amerikanern in Caro (US-Bundsstaat Michigan) ins Leben gerufen, um die Menschen einander näherzubringen. Neben den USA hat er sich mittlerweile auch in Kanada, England, Australien, Polen und in Deutschland etabliert. Und was spricht schon dagegen?

Doch so kurios viele Anlässe sind - die meisten Welt- und Gedenktage haben durchaus ihre Berechtigung: ob Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts (27. Januar), Tag gegen die weibliche Genitalverstümmelung (6. Februar), Welt-Aids-Tag (1. Dezember) oder Tag der Menschenrechte (10. Dezember). Sie weisen auf Schicksale und Missstände hin. Sie sensibilisieren für Themen, die im Alltag allzu oft ins Hintertreffen geraten. Sie bringen Menschen dazu, sich mit Inhalten auseinanderzusetzen und sich für etwas zu engagieren. Es besteht allerdings die Gefahr, dass sie im Wust der Gedenktage untergehen. Für die "ernsthaften" sind die Vereinten Nationen (UN) verantwortlich. Die UN-Bildungsorganisation, die Unesco, ruft hingegen Gedenktage aus, die an berühmte Persönlichkeiten und historische Ereignisse erinnern. Beispiele sind der Welttag der Alphabetisierung (8. September) oder der Tag zur Erinnerung an den Sklavenhandel und seine Abschaffung (23. August).

"Solche Tage sind weltweit extrem wichtig", betont Arne Molfenter vom UN-Informationszentrum für Westeuropa. "Sie betreffen alle Menschen und haben ihren absoluten Sinn." Vorgeschlagen werden sie von den Mitgliederländern, "und in der Generalversammlung in New York wird dann darüber entschieden", erklärt er. "Bei einem Konsens entsteht dann ein solcher neuer Tag."

Bislang wurden mehr als 100 von den UN und ihren Unterorganisationen anerkannt. Gestrichen werden die Tage übrigens nicht mehr aus dem Kalender. Sie werden stattdessen einfach nicht mehr begangen oder geraten mit der Zeit in Vergessenheit. So etwa der Gedenktag für den Kampf gegen die Apartheid in Südafrika.