Ingolstadt
Die böse Hand

Weltweit sind zehn Prozent der Bevölkerung Linkshänder – Über viele Jahre wurden Kinder gewaltsam auf rechts umgeschult

12.08.2014 | Stand 02.12.2020, 22:21 Uhr

Ingolstadt (DK) Barack Obama, Albert Einstein, Jimi Hendrix, Rafael Nadal – sie alle haben eines gemeinsam: Sie sind Linkshänder, wie etwa zehn Prozent aller Menschen weltweit. Am heutigen Weltlinkshändertag feiern sie ihre besondere Eigenschaft.

Einerseits sagt man Linkshändern hohe musische und kreative Begabungen und Talente nach, andererseits ist seit alters her die linke Hand mit Tollpatschigkeit verknüpft. Unsere Gesellschaft, die hauptsächlich aus Rechtshändern besteht, benutzt deshalb auch unter anderem das Sprichwort, jemand habe „zwei linke Hände“, wenn man sich besonders ungeschickt anstellt. Sicher jedoch ist, dass die Natur vorgibt, ob man Links- oder Rechtshänder ist. Ob sich ein Kind dann jedoch auch zum Links- oder Rechtshänder entwickelt, entscheidet das soziale Umfeld. Forscher haben herausgefunden, dass es in der Steinzeit einen weitaus höheren Anteil an Linkshändern gab als heute. Sie gehen davon aus, dass mindestens die Hälfte der Menschen die linke Hand benutzt haben, um die wichtigsten Dinge des Lebens zu erledigen. Doch dann kamen den Linkshändern die kulturellen Konventionen dazwischen: Beispielsweise gilt in arabischen Ländern die linke Hand als unrein, da man sich nach dem Stuhlgang üblicherweise mit der linken Hand den Allerwertesten säubert. In Marokko wird deshalb sogar das Bezahlen mit der linken Hand als eine Beleidigung verstanden.

Bemerkenswert ist, dass es im Spitzensport einen deutlich höheren Anteil an Linkshändern als in der Gesamtbevölkerung gibt. Vor allem in Sportarten bei denen es um Duelle Mann gegen Mann geht, haben Linkshänder Vorteile. Beim Boxen profitiert etwa der bedeutende Schwergewichtsboxer Muhammad Ali von seiner linken Hand.

Der Grund ist ganz einfach: Linkshänder haben lange mit Rechtshändern trainiert, sie kennen also deren Bewegungsabläufe genau. Auf einen Rechtshänder wirkt dagegen das Handeln eines Linkshänders spiegelverkehrt. Da der Rechtshänder erst umdenken muss, verschafft sich der Linkshänder somit einen zeitlichen Vorsprung. Er kann schneller reagieren und Angriffe des Gegenübers besser einschätzen.

Zudem haben Forscher herausgefunden, dass die Fähigkeiten für räumliches Denken bei Linkshändern ausgeprägter sind als bei Rechtshändern. So haben zum Beispiel linkshändige Handballspieler auf den Spielpositionen rechts außen und im rechten Rückraum Vorteile, denn sie erreichen einen deutlich günstigeren Wurfwinkel, wenn der Ball mit der linken Hand auf das Tor geworfen wird.

Linkshänder mussten allerdings erst dafür kämpfen, um ihre starke Hand auch benutzen zu dürfen: Denn noch bis in die 80er Jahre schulten Lehrer linkshändige Kinder auf die rechte Hand um. Vor allem in den 50er und 60er Jahren erfolgte die Umerziehung häufig gewaltsam.

Eine Linkshänderin, die auf die rechte Hand umerzogen wurde, ist Marina Neumann. Die Psychologin und Psychotherapeutin aus Berlin erinnert sich, dass sie im Kindergarten stets mit der linken Hand gemalt hat. „Doch in der Grundschule stand meine Lehrerin immer hinter mir, um mir zu sagen: ,Nimm den Stift in die rechte Hand’“, erzählt sie gegenüber unserer Zeitung. „Zwischendurch gab es auch Ohrfeigen, wenn ich es nicht tat.“ Der Druck mit der ungewohnten Hand zu arbeiten, wurde für sie immer größer. „Genauso wie die Angst vor Strafen oder Nachsitzen.“

Andere Betroffene berichten in Internetforen aus ihrer Grundschulzeit, dass oft auch der Rohrstock zum Einsatz kam. Als noch schlimmer empfanden sie allerdings, wenn ihnen die linke Hand auf den Rücken gebunden wurde. Immer wieder mahnten die Grundschullehrer, das „schöne Händchen“ zu benutzen. Heute ist das undenkbar: Juristisch gesehen gilt das Umschulen von Kindern als Körperverletzung.

Das ist auch gut so, denn einen Linkshänder zu zwingen, die rechte Hand zu benutzen, ist ein direkter Eingriff in die Hirnaktivitäten eines Individuums: „Der Mensch wird ja als Links- oder Rechtshänder geboren. Die jeweilige Hand ist demnach auch feinmotorisch geschickter, hat mehr Kraft und Ausdauer“, sagt Neumann. Wer den Stift also in die „falsche“ Hand nehme, habe das Gefühl, es koste ungleich mehr Anstrengung und Mühe, weiß die Expertin. „Ich habe zum Beispiel mit rechts immer zu sehr mit dem Stift aufgedrückt und habe die Schönschrift nicht hinbekommen.“ All ihre Erfahrungen hat sie nun in dem Buch „Natürlich mit Links“ zusammengefasst.

In der rechten Gehirnhälfte befindet sich das Zentrum für Kreativität, Raumwahrnehmung und Intuition, links das analytische Denken und die Sprache. Gerade dann, wenn motorische und intellektuelle Anforderungen zusammenkommen – vor allem beim Schreiben – sind die gewaltsamen Versuche, die andere Hand zu nutzen, besonders gravierend. Bei Rechtshändern ist die linke Gehirnhälfte für das Schreiben verantwortlich, bei Linkshändern ist es die rechte Hirnhälfte. Die Nervenbahnen laufen über Kreuz – die eine Hirnhälfte steuert also die Motorik der gegenüberliegenden Hand. Die Umschulung der Händigkeit führt auch zur Umschulung des Gehirns, denn die Bewegungssteuerung wird von der rechten in die linke Hirnhälfte verlagert. „Das führt zwangsläufig zu Problemen“, erinnert sich Neumann. Die Planung und Koordination hingegen erfolgen bei den umgeschulten Linkshändern nach wie vor in der rechten Hirnhälfte – so wie bei normalen Linkshändern. Das auszugleichen erschöpft oftmals die Betroffenen im Alltag.

An ihre Schulzeit denkt Neumann deshalb auch nicht gerne zurück. „Die Schule wurde für mich zu einem unschönen Ort. Ich war ab dem Gymnasium sehr verschlossen, denn ich kam mit den Anforderungen nicht zurecht.“ Ständig war sie damit beschäftigt, die Leistungsanforderungen zu bewältigen, erzählt Neumann. „Dadurch wurde ich schnell zur Außenseiterin. Ich war ein todunglückliches Kind.“

Erst 1999 begriff Neumann, dass die Umerziehung auf die rechte Hand der Auslöser für viele ihrer Lern- und Leistungsprobleme war. Sie entschloss sich zur Rückschulung auf die linke Hand. Doch damals gab es in Deutschland keine Hilfe, trotzdem musste sie etwas ändern: „Ich habe es dann auf eigene Faust probiert, indem ich mir ein eigenes Übungsprogramm zurechtgelegt habe.“ Dann habe sich ihr Leben auf einmal vom Kopf auf die Füße gestellt. Die ersten Wochen, in denen sie Vorübungen zum Schreiben mit der linken Hand gemacht habe, seien fantastisch gewesen.

Mittlerweile hat sich der Markt auf Linkshänder eingestellt. Es ist kein Problem mehr, spezielle Scheren, Messer und Stifte mit besonderem Linkshändergriff zu kaufen. Es gibt sogar PC-Tastaturen, bei denen der Zahlenblock auf der linken Seite liegt.

Neumann hat ihre Erfahrungen genutzt und hat in der Psychotherapie eine berufliche Nische gefunden: Sie behandelt in Berlin umgeschulte Linkshänder. „Ich habe jede Woche mehrere Patienten im Alter von sechs bis 60 Jahren“, erklärt sie. Mit den Patienten mache sie zuerst einen Händigkeitstest, bei dem sie die dominante Hand feststellt. Kommt dabei heraus, dass der Patient eigentlich Linkshänder ist, „entsteht oft der Wunsch nach einer Umschulung“.

Auch der Vater des Musikers Jimi Hendrix wollte seinen Sohn als Kind umerziehen auf die rechte Hand. Er glaubte, dass Linkshänder vom Teufel besessen seien. Doch der spätere Revolutionär des Gitarrenspiels in der Popmusik, Hendrix, baute seine Gitarren für Rechtshänder auf seine Bedürfnisse um. Wenn sein Vater im Zimmer war, drehte er die Gitarre einfach um. So brachte sich Hendrix bei, mit der rechten und linken Hand gleich gut zu spielen.

Marina Neumanns Buch "Natürlich mit links" ist am 11. August beim Ariston-Verlag erschienen und für 16,99 Euro erhältlich.