Ingolstadt
"Ein hohes Aggressionspotenzial"

26.04.2017 | Stand 02.12.2020, 18:14 Uhr

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Ingolstadt (DK) Selbst ernannte "Reichsbürger" rücken zunehmend in den Fokus der Polizei. In Ingolstadt und der Region sind den Kripoermittlern inzwischen rund 100 Sympathisanten bekannt. Bayernweit gibt es knapp 2700 Anhänger der Bewegung, ihre Zahl steigt permanent.

Selbst ernannte "Reichsbürger" waren lange kein Thema. Seit einer ihrer mutmaßlichen Sympathisanten im vergangenen Oktober im mittelfränkischen Georgensgmünd einen Polizisten erschoss, wie dem 49-Jährigen vorgeworfen wird, setzen die Sicherheitsbehörden alles daran, Licht ins Dunkel dieser Bewegung zu bringen. Knapp 2700 Männer und Frauen seien allein in Bayern als "Reichsbürger" identifiziert worden, hatte es vor gut einer Woche bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts in München geheißen. In ganz Deutschland sollen es bereits knapp 10 000 sein. Sie erkennen die Bundesrepublik Deutschland meistens nicht an und versuchen vielfach, eine eigene Administration oder Finanzverwaltung aufzubauen.

In Ingolstadt und der Region sind dem Staatsschutz bei der Kriminalpolizei derzeit etwa 100 sogenannte "Reichsbürger" bekannt. Diese Vertreter der Bewegung kommen aus allen möglichen Schichten, vom Arbeiter bei Audi bis zum Professor. Ein Dutzend von ihnen ist im Besitz von Gewehren, Pistolen und Revolvern, entweder als Jäger oder Schützen. Andere besitzen "Kleine Waffenscheine" und haben Gasrevolver oder -pistolen daheim. Diese Schießeisen lassen sich aber leicht scharfmachen, wie ein Fall aus einem Dorf bei Eichstätt zeigt. Dort war die Kripo im Januar mit einem Durchsuchungsbeschluss bei einem 49-jährigen mutmaßlichen "Reichsbürger" aufgetaucht und hatte im Keller mehrere Tresore entdeckt. Der Eigentümer wollte sie nicht öffnen. Erst als die Beamten mit einem Winkelschleifer anrückten, holte er die Schlüssel heraus.

In den Behältern fanden sich dem Vernehmen nach neben einigen Luftgewehren auch aufgebohrte Schreckschusswaffen und Präzisionsschleudern mit Armstützen, die durchaus geeignet sind, tödliche Verletzungen hervorzurufen. Dem Mann droht ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz. Er war aufgefallen, weil er behördliche Vertreter nicht anerkannt und zuletzt sogar dem Kaminkehrer den Zutritt zu seinem Anwesen verboten haben soll. Seine erwachsenen Söhne sollen ebenfalls mit den "Reichsbürgern" sympathisieren.

Ein 52 Jahre alter Akademiker aus Ingolstadt hatte zuletzt ebenfalls Besuch vom Staatsschutz erhalten. Er war unter anderem deshalb ins Visier der Ermittler geraten, weil er im vergangenen Herbst bei monatlichen Stammtischen mit Gesinnungsgenossen in einem Ingolstädter Ortsteil darüberreferiert haben soll, wie man in rechtlichen Fragen "den Fallstricken der BRD" entgeht. Die Bundesrepublik existiert für ihn nicht als Staat, der Mann gibt sich als Bürger des "Königreichs Württemberg" aus. Als Sportschütze besitzt er eine Pistole und einen Revolver. Nun steht seine Zuverlässigkeit als Waffeneigentümer auf dem Spiel.

250 mutmaßliche "Reichsbürger" hat die Kripo Ingolstadt in den vergangenen Monaten überprüft und etwa 100 als Anhänger der Bewegung identifiziert. "Rund 80 weitere Kontrollen stehen noch aus. Die Zahlen werden aber mit Sicherheit noch nach oben gehen, weil wir permanent neue Hinweise erhalten", sagt Hans-Peter Kammerer vom Polizeipräsidium Oberbayern-Nord in Ingolstadt. So war erst am vergangenen Donnerstag in Pförring ein 34-jähriger Straßenbauer aufgefallen, weil er im Auto nicht angeschnallt war. Bei der Kontrolle gab er sich als "Reichsbürger" zu erkennen, leistete laut Polizei "massiven Widerstand", verletzte zwei Beamte leicht und musste sich zuletzt eine Wohnungsdurchsuchung gefallen lassen, weil sich in seinem Rucksack über 40 Gramm eines weißen Pulvers, vermutlich Amphetamine, gefunden hatten. Bei ihm daheim entdeckte Unterlagen sollen nahelegen, dass er der Bewegung angehört.

"Wir bewerten und sammeln alle Informationen über Bürger, die durch ihre Ablehnung des Staates auffallen", sagt Kammerer. "Manche schreiben zum Beispiel Briefe an Gemeindeverwaltungen und stellen Forderungen, die in den Bereich der Nötigung oder versuchten Erpressung gehen. Andere akzeptieren Bußgelder nicht oder geben ihre Ausweise zurück. Sie erstellen dann selbst Papiere." Kammerer weiß außerdem von einem Fall, wo jemand seine eigenen Autokennzeichen kreiert hatte. "Aber da spielt keine Versicherung mit." Nur ein relativ kleiner Teil der Sympathisanten soll nach den Erfahrungen der Polizei tatsächlich der rechtsextremen Szene zugehören.

Jüngere Menschen sind laut Erkenntnissen des Staatsschutzes bisher kaum anfällig für die "Reichsbürger"-Bewegung. Die meisten Anhänger sollen zwischen 40 und 70 Jahre alt sein, etwa ein Viertel davon Frauen. Solche mit Funktionärsrollen - manche nennen sich gar Minister - sind oft zwischen 50 und 60 Jahre alt. Viele fallen durch "ein hohes Aggressionspotenzial gegenüber dem Staat" auf, andere durch eine "psychisch bedingte Neigung zu querulatorischem Verhalten". Die geltende staatliche Ordnung werde meist abgelehnt.

Genau jener Staat schlägt jetzt zurück, denn ein Ereignis wie der tragische Tod des Polizisten in Georgensgmünd soll sich nicht wiederholen. "Unsere Überprüfungen erfolgen unter dem Aspekt der Sicherheit, es geht um Waffenbesitz", sagt Hans-Peter Kammerer vom Ingolstädter Polizeipräsidium, zu dem auch der Raum Erding gehört. Dort sitze eine spezielle Ermittlungsgruppe, die überregional agiere. "Unser vorrangiges Ziel ist es, die Netzwerkstrukturen innerhalb der Bewegung aufzudecken." In Ingolstadt und der Region seien eher Sympathisanten zu finden. "Die führenden Köpfe sind im Raum Ebersberg, dort hat es bereits Festnahmen gegeben."