Ingolstadt
„Die Frauen hatten enorm hohe Erwartungen ans Wahlrecht“

Historikerin Kerstin Wolff über die deutsche Frauenbewegung

06.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:43 Uhr
Historikerin Kerstin Wolff arbeitet im Archiv der deutschen Frauenbewegung. −Foto: AddF

Ingolstadt (DK) Wie war das damals mit dem Wahlrecht? Ein Gespräch mit einer Historikerin über die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, die ersten Frauen auf der politischen Bühne und die Wahlpsychologie der Frauen.

Frau Wolff, wie war das damals mit der Damenwahl?
Kerstin Wolff: Das war keine momentane Entscheidung in diesem November 1918, sondern die Frauen hatten schon 100 Jahre vorher um dieses Recht gekämpft. Es fing schon mit der Französischen Revolution an, wo viele Frauen hofften, dass Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit auch sie meint. Das stellte sich jedoch als Trugschluss heraus. Auch in Deutschland gab es eine lange Vorgeschichte, die 1918 darin gipfelte, dass der Rat der Volksbeauftragten eine große Wahlrechtsreform durch die Wahlpsychologie der Frauen.setzte: Sie führten nicht nur das Frauenwahlrecht ein, sondern sie nahmen auch das preußische Dreiklassenwahlrecht von der Schiene. 

Wie war die Situation der Frauen nach dem Ersten Weltkrieg?
Wolff: Man liest immer wieder, dass nach dem Ersten Weltkrieg alles ganz neu war, auch für Frauen – aber das stimmt nicht. Die Rate der Frauenarbeit beispielsweise stieg das komplette 19. Jahrhundert immer weiter an. Direkt nach dem Ersten Weltkrieg tat die Regierung jedoch sehr viel, die Frauenarbeit wieder zurückzudrängen, um den Soldaten, die wieder nach Hause kamen, Arbeitsplätze anzubieten. Die Idee, im Ersten Weltkrieg hätten die Frauen die Emanzipation für sich entdeckt, ist auf alle Fälle nicht zutreffend.

War den Frauen nach dem Ersten Weltkrieg denn überhaupt bewusst, welche politische Macht sie im Grunde besaßen?
Wolff: Nein. Die Frauen hatten enorm hohe Erwartungen ans Wahlrecht. Aber sie mussten erkennen, dass es mit der praktischen Politik ein Bohren von sehr harten Brettern ist. 

Dann betraten die ersten Frauen die politische Bühne. Welche Themen waren ihnen wichtig?
Wolff: Ich würde eher sagen: Welche Themen wurden ihnen denn überhaupt überlassen? In der Weimarer Republik bildete sich eine Zuweisung von politischen Themen an Männer und Frauen heraus, die sogar wir heute noch durchaus kennen. Das ganze Soziale und die Sittlichkeit, die Bildung und die Jugendarbeit – das waren Themen, die man an Frauen gegeben hat. Die sie jedoch auch durchaus genommen haben. Letzten Endes waren es aber nicht die Themen, um die es ganz stark ging. Wir haben es also tatsächlich mit einem Abwertungsprozess zu tun. 

Und heute? Im Deutschen Bundestag sitzen so wenig Frauen wie lange nicht. Wie erklären Sie sich das ?
Wolff: Die Gründe liegen natürlich bei den Parteien, die nicht genug Frauen aufstellen. Ich denke, da hat sich Freiwilligkeit so langsam, aber sicher erledigt. In Frankreich gibt es ein Parité-Gesetz, das darauf abzielt, Männer und Frauen ihrem Anteil in der Bevölkerung gemäß im obersten politischen Gremium zu beteiligen. Ich denke, so etwas braucht es in Deutschland auch. Die Zeit ist reif, denn es ist absurd, im Oktober 2017 nur 30 Prozent Frauen im Deutschen Bundestag zu haben.

Wie wählen Frauen – mit dem Herzen oder mit dem Verstand?
Wolff: Männer und Frauen wählen annähernd gleich. Vor der Einführung des Frauenwahlrechts hat es immer Schreckgespenster gegeben. Die Gegner sagten, Frauen wählten radikal. Am Ende hat sich gezeigt: Frauen wählen nicht so radikal wie Männer, sondern meist innerhalb ihrer Gesellschaftsschicht. ?DK

Die Fragen stellte Suzanne Schattenhofer