Der
Häme, Hass und Härte

30.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:51 Uhr

Der Hass, der Politikern derzeit in den sozialen Medien entgegenschlägt, ist groß. Um ihn einzudämmen, hat der Bundestag nun das Netzwerkdurchsetzungsgesetz verabschiedet. Der SPD-Politiker Ralf Stegner und Renate Künast von den Grünen wissen, welche Wirkungen Hassbotschaften entfalten. Wir haben sie getroffen.

Der Mann steht früh auf. Zwischen 6 und 7 Uhr morgens weckt Ralf Stegner seine Freunde und Follower auf Facebook und Twitter: "Guten Morgen aus Bordesholm € - "Guten Morgen aus Berlin €. Alle, die es mögen - und auch viele, die ihn offenbar so gar nicht schätzen, können dann lesen, wie das Wetter im Norden oder in der Hauptstadt ist, und was der Tag für Ralf Stegner, den stellvertretenden SPD-Chef und ersten Mann der schleswig-holsteinischen Sozialdemokraten, bringt.

"Wieder ein herrlicher Sommermorgen €, twittert Stegner. Dann schaut er voraus: "Heute beraten wir bei der Präsidiumssitzung der SPD im Willy-Brandt-Haus über das Steuerkonzept für die Bundestagswahl. € Später motiviert er sich selbst und seine Gefolgschaft aus den sozialen Netzwerken - fast 50 000 Menschen - mit einem Musiktipp: "Roxette: Listen to Your Heart. €

Die gute Laune währt nicht lang. Und im Fall von Ralf Stegner liegt das gewiss nicht am neuen Steuerkonzept der SPD. Im Laufe des Tages melden sich Menschen, die grundsätzlich wütend auf Politiker zu sein scheinen oder auf alles allergisch reagieren, was Stegner postet. Der Ton auf Facebook und Twitter ist oft rau, das weiß Stegner. Herben, konfrontativen Stil ist er gewohnt. Schließlich ist er selbst ein erklärter Anhänger der zugespitzten politischen Auseinandersetzung. Und Pöbeleien kennt er, seit er Schiedsrichter auf dem Fußballplatz war.

Doch der Hass, der sich vor allem von Rechts seit Jahren über ihm entlädt, macht selbst Stegner manchmal zu schaffen. Stegner sagt, keinem anderen SPD-Politiker schlage im Netz so viel Hass entgegen wie ihm und Justizminister Heiko Maas.

Stegner sitzt an diesem warmen Sommertag in seinem Berliner Büro und wirkt fast ein wenig resigniert. Seine Mitarbeiterin zeigt am Computer, worum es geht: "Ralle, ich hasse Dich. Deine Zeit läuft ab. Du wirst vor Gericht gestellt. Du verdienst den Strick. Ralle, Ralle, Ralle. Pöbel Ralle, has left his existence. Ich, persönlich, würde dich über Monate zu Tode foltern. Aber, die Bilder gönne ich Dir nicht. € An anderer Stelle heißt es: "Ab jetzt wird nicht mehr verbal zurück geschossen, sondern Konsorten wie Stegner, dürfen sich als Freiwild bezeichnen, denn jetzt wird mit gleicher Münze zurück gezahlt! €

"Viele Kommentare sind dumm und geschmacklos €, sagt Stegner. Freundliche Stimmen und Smilies sind in der Minderzahl. Ablehnung, Häme und Hass dominieren. "Das fasst mich schon an. Psychologisch ist das großer Mist €, sagt Stegner. Vor allem wenn es um seine Familie, um seine Frau und seine Söhne geht, die ebenfalls manchmal bedroht werden, macht er sich Sorgen. Einer der drei studiert in Halle und engagiert sich dort auch politisch. Er hat schon Morddrohungen erhalten. Dann ist Polizeischutz notwendig.

Aufgeben will Stegner nicht. In seinen Büros in Kiel und Berlin sitzen Mitarbeiter, die manche Kommentare löschen und andere beantworten, wo immer es geht. Allerdings: Wer sich von ihnen auf einen Disput einlässt, wird auch selbst oft Opfer von Hass und Drohungen.

Hass im Netz ist weit verbreitet, das Dunkelfeld ist hoch. Stegner sieht eine schleichende Verrohung des politischen Klimas. Er weiß, dass Hassreden nicht nur in der virtuellen Welt wirken. "Den Brandreden folgen auch die Brandsätze €, befürchtet er. Stegner wehrt sich, nicht nur indem er antwortet und den Meinungsaustausch nicht den Schreiern überlässt. Er wehrt sich auch juristisch: Schmähungen zeigt er nicht an, aber Drohungen immer.

Inzwischen, sagt Stegner, unterschreibt er in großer Regelmäßigkeit solche Anzeigen, die Zahl liege längst im dreistelligen Bereich. Aber nur sehr wenige Fälle kommen tatsächlich vor Gericht. Vielleicht zehn Verfahren, schätzt der Politiker, endeten bislang in einer Verurteilung. Meist sind die Täter nicht ermittelbar, oder es gelingt ihnen, sich herauszureden. Man habe einen zu viel getrunken, werde dann zum Beispiel behauptet.

Stegner setzt darauf, dass mit dem neuen Netzwerkdurchsetzungsgesetz ein Durchbruch erreicht wird im Kampf gegen die Hass-Postings. Das Gesetz verpflichtet Unternehmen wie Facebook, Twitter und YouTube, von Nutzern gemeldete Beiträge mit offensichtlich rechtswidrigem Inhalt rasch zu löschen. Die Unternehmen müssen dazu ein wirksames Beschwerdemanagement einrichten. Ansonsten drohen Geldstrafen von bis zu 50 Millionen Euro.

Nun fürchten viele, dass Facebook und Co im Zweifelsfall lieber mehr als weniger löschen. Gut gemeint, schlecht gemacht - so kann man die Kritik an dem Gesetz zusammenfassen. Auch die Grünen-Politikerin Renate Künast äußerte am Freitag im Bundestag die Befürchtung, dass für die Unternehmen nun "der Reiz zu löschen größer wird als die Sicherung der Meinungsfreiheit". Auch sei es falsch, die Konflikte im Netz auf "Bußgeldtatbestände" zu reduzieren. Sinnvoller wäre eine breite gesellschaftliche Debatte "über Menschenrechte und gegenseitigen Respekt", sagte sie. Die Grünen enthielten sich letztlich der Stimme.

Künast, auch sie hat fast 50 000 Follower, wird seit Jahren im Netz beschimpft. "Von dir würde ich gerne ein Enthauptungsvideo sehen € - "Du Hure € - "Dich will ich auch mal auf dem Kölner Domplatz sehen € - "Du dummes Stück grüne Scheiße €. Solche Sachen. Auch Künast hat von der Staatsanwaltschaft erfahren müssen, dass so etwas nicht unbedingt strafbar ist. Weil die Meinungsfreiheit in Deutschland eben sehr weit geht. Nicht alles, was unanständig, grob und hässlich ist, ist strafbar.

Gerade Politiker müssen sich viele Pöbeleien gefallen lassen. Das sei, sagt die Grüne, im Netz nicht anders als im analogen Leben. Auch dort gebe es übrigens Anonymität. Wenn aus einer Demonstration geschimpft und gehetzt wird, werde auch nicht gleich die Kundgebung aufgelöst. Sie warnt davor, das Recht auf Anonymität preiszugeben.

Rund 50 Anzeigen hat Künast in den vergangenen Jahren erstattet. Die meisten Verfahren wurden eingestellt. Aber trotzdem ist es wichtig, sich so zu wehren, sagt sie. Immerhin merkten die Täter, dass es ein Entdeckungsrisiko gebe, wenn die Polizei vor der Tür steht. Außerdem müsse sich die Dimension von Hass im Netz auch in der Kriminalstatistik zeigen, und das geht eben nur, wenn man Anzeige erstattet.

Künast hat 2016 sogar einige ihrer Hater besucht und mit ihnen gesprochen. Und dabei gelernt, dass viele, gerade in der Mittelschicht, sich vernachlässigt fühlen und mehr Ansprache wünschen. Sie wollen, dass auch ihre Sorgen und Themen öffentlich Gehör finden.

Künast hat darüber gerade ein Buch geschrieben: "Hass ist keine Meinung. Was die Wut in unserem Land anrichtet €, es wird im August im Heyne-Verlag erscheinen.

Künast betont, wie wichtig das Vorgehen gegen Hass im Netz ist. Und auch sie erkennt, dass ein gesetzlicher Rahmen fehlt. Facebook dürfe sich nicht weiter hinter US-Regeln und irischen Freizügigkeiten verstecken, sondern müsse sich an deutsches Recht halten, sagt sie. Nur hätte sie sich mehr Sorgfalt und vor allem auch mehr Zeit für eine gesellschaftliche Debatte gewünscht. "Die Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und dem Schutz der Persönlichkeitsrechte ist im Gesetz nicht gelungen €, urteilt sie.

Dass das Gesetz und der allgemeine Druck auf Facebook wirken, konnte Künast als Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestags Mitte Juni bei einem Besuch im Facebook-Löschzentrum in Berlin sehen. Da war das Gesetz noch gar nicht beschlossen. Doch der Weltkonzern mit fast zwei Milliarden Nutzern gewährte zum ersten Mal einem Politiker Einblick, wie Beschwerden geprüft werden und wie gelöscht wird. Es bewegt sich was, aber das reicht noch lange nicht, ist Künasts erstes Fazit.