Der
Das sterbende Paradies

22.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:37 Uhr

Bedrohte Schönheit: Wegen des Klimawandels erwärmt sich das Wasser, die Leidtragenden sind Korallen. Der Meeresbiologe Terry Hughes (rechts) schlägt Alarm. - Fotos: ARC Centre of Excellence for Coral Reef Studies, Lai/ AFP

Der Klimawandel zerstört das Great Barrier Reef vor der Küste Australiens. Terry Hughes, einer der angesehensten Korallenforscher, ruft jetzt zum Schutz des gefährdeten Weltnaturerbes auf.

Townsville (DK) Als Terry Hughes 1985 das erste Mal am Great Barrier Reef schnorcheln ging, tauchte er in eine bunte Welt voller Farben, Formen und Fische ein. Der junge Mann, der im kalten Wasser vor der irischen Küste das Tauchen gelernt hatte, war überwältigt. Als er in diesem Jahr sieben Tage lang mit einer Cesna in 150 Meter Höhe über 350 Riffe des gleichen Riffs flog, musste er mit den Tränen kämpfen. Wo er vor 32 Jahren an roten, blauen und orangenen Korallen vorbeigeschwebt war, erstreckten sich jetzt weiße, tote Kalkwüsten. Das Great Barrier Reef ist von der bislang wohl schlimmsten Korallenbleiche seiner rund 600.000 Jahre alten Geschichte betroffen. Terry Hughes, mittlerweile Professor für Meeresbiologie an der James Cook Universität im australischen Townsville und einer der angesehensten Korallenforscher der Welt, kämpft mit der Rationalität des ehrgeizigen Wissenschaftlers und der Emotionalität des leidenschaftlichen Umweltschützer um das Überleben des Riffs. Er weiß nicht, ob er den Kampf gewinnen wird.

Taucher wie Hughes wissen, dass Korallen nicht nur wunderschön, sondern auch äußerst sensibel sind. Sie können nur in klaren, sonnendurchfluteten Gewässern mit einer Temperatur zwischen 18 und 30 Grad gedeihen. Dort gehen die Nesseltiere mit bestimmten Algen eine Symbiose ein und erhalten so ihre Farbe. Nimmt die Temperatur zu stark zu, werden die farbgebenden Algen giftig. Die Korallen stoßen sie ab und sterben bald darauf.

"1998 gab es die erste große Bleiche am Great Barrier Reef. Seitdem hatten wir drei weitere, davon zwei in aufeinanderfolgenden Jahren - 2016 und 2017. Letztes Jahr war die verheerendste. Ich befürchte, dass einige Teile sich davon nicht mehr erholen werden", sagt Hughes.

Korallen brauchen mindestens zehn Jahre, um sich zu erholen. Doch wenn die Abstände zwischen den Bleichen - so wie in den letzten Jahren - immer kürzer werden, bleibt den empfindlichen Organismen keine Zeit zur Regeneration, und sie sterben endgültig ab. Allein zwischen 1985 und 2012 verschwand so die Hälfte aller Korallen des Great Barrier Reefs.

Dafür haben Hughes und andere führende Wissenschaftler eine Hauptursache ausgemacht: den Klimawandel. "Allen Beteuerungen zum Trotz: Die globale Erwärmung beschleunigt sich weiter. Doch wenn die Temperatur sich weltweit um nur ein weiteres Grad erhöht, wird unsere Erde ein sehr ungemütlicher Ort. Nicht nur für Korallen", ist Hughes überzeugt.

Für den globalen Temperaturanstieg und damit auch das Korallensterben ist Australien als einer der größten Kohleexporteure und eines der Länder mit dem höchsten CO2-Ausstoß pro Kopf mitverantwortlich. Dabei hat das Riff nicht nur für die weltweite Biodiversität, sondern auch für die Wirtschaft einen immensen Wert. Experten der internationalen Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsfirma Deloitte taxierten das Riff in diesem Jahr auf rund 38 Milliarden Euro. Nach ihren Berechnungen hängen 39.000 Jobs direkt, weitere 25.000 indirekt vom Riff ab - vor allem im Tourismus. Damit ist das Great Barrier Reef ein größerer "Arbeitgeber" als viele bekannte australische Unternehmen wie die Fluggesellschaft Qantas.

Wissenschaftler und Umweltschützer kritisieren die australische Regierung dafür, dass sie Kohleminen weiterhin fördert, obwohl diese nachweislich zum Korallensterben beitragen. "Auf der einen Seite will die Regierung das Riff schützen, auf der anderen Seite subventioniert sie eine Industrie, die für seine Zerstörung hauptverantwortlich ist", regt Terry Hughes sich auf.

Doch nicht nur der Klimawandel macht dem sensiblen Ökosystem unter der Wasseroberfläche zu schaffen. Auch der gefräßige Dornenkronenseestern ist für das Korallensterben mitverantwortlich. Denn die bis zu 40 Zentimeter großen Seesterne ernähren sich ausschließlich von Steinkorallen. Ein einzelnes Tier kann innerhalb eines Jahres mehr als zehn Quadratmeter Korallen vernichten. Weil die gefährlichen Seesterne sich in den vergangenen 50 Jahren vermutlich aufgrund einer Überdüngung der Meere durch intensive Landwirtschaft stark vermehren konnten, wurden sie in einigen Regionen des Südpazifiks zu einer echten Plage.

Auch eine Versauerung der Meere durch immer mehr CO2, ein geringerer Sauerstoffgehalt des Wassers, Korallenkrankheiten und aufgrund des Klimawandels immer stärkere Zyklone mit immer größeren Wellen tragen zum Korallensterben bei. Die Vereinten Nationen könnten das kranke Riff deshalb schon bald auf die Liste der gefährdeten Naturwunder der Erde stellen.

Doch nicht nur dem Great Barrier Reef geht es schlecht. Beim Welt-Ozean-Gipfel in Bali stellten australische Forscher Anfang des Jahres eine Studie vor, nach der in den nächsten 35 Jahren weltweit 90 Prozent aller Korallenriffe verschwinden könnten.

Auch 32 Jahre nach seinem ersten Tauchgang kann Terry Hughes sich noch genau daran erinnern, wie überwältig er damals von der Pracht unter Wasser war. Der 61-Jährige hofft, dass auch seine Enkelkinder noch in diesen bunten Kosmos eintauchen können. Der Professor: "Es ist die Verpflichtung unserer Generation, dafür zu sorgen, den Klimawandel zu begrenzen und nachfolgenden Generationen die Möglichkeit zu geben, die gleichen schönen Erfahrungen zu machen, wie wir sie machen durften."