Klatovy
Den Toten ein Gesicht geben

19.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:28 Uhr

Die Jesuitenkirche am Marktplatz in Klatovy. - Foto: Richter

Klatovy (DK) In den Katakomben der tschechischen Stadt Klatovy sind die Verstorbenen auf natürliche Weise mumifiziert. Eine Ausstellung erinnert an das Leben und Wirken der Toten, die oft Förderer des öffentlichen Lebens waren. Viele Bauwerke gehen auf ihre Initiative zurück.

Schummriges Licht erwartet die Besucher hinter der schweren Holztür an der Rückseite der Jesuitenkirche im tschechischen Klatovy. Die Pforte führt hinab in eindrucksvolle Gewölbe und durch feinsäuberlich gemauerte Gänge. Hier unten bewegen sich die meisten schweigend oder allenfalls flüsternd voran, gerade so, als wollten sie keine der Gestalten aufwecken, die seit Jahrhunderten in diesen Krypten liegen. Es sind die Mumien früherer Bewohner der tschechischen Stadt - sie ist auch unter dem deutschen Namen Klattau bekannt und keine 50 Kilometer von Furth im Wald entfernt. Ein Anblick, der manchen schaudern lässt, doch der Tod hat die Menschheit seit jeher fasziniert. An einem Ort wie diesem kommen Gedanken über die eigene Sterblichkeit auf. Und Fragen. Warum sind die Leichname nicht zerfallen? Wer waren sie, die hier ruhen, zu Lebzeiten?

Klatovy bildete nach seiner Gründung im späten 13. Jahrhundert ein wichtiges Straßenkreuz auf den Handelswegen zwischen Bayern und Böhmen. Die Wirren im Dreißigjährigen Krieg brachten Brandschatzungen, Plünderungen, Mord und Totschlag und nicht zuletzt den kulturellen Niedergang der heute gut 22 300 Einwohner zählenden Stadt mit sich. Die Wende kam 1636, als sich der Orden der Jesuiten dort niederließ und den Wiederaufbau vorantrieb. Viele der imposanten Barockbauten entstanden unter dem Einfluss der Glaubensbrüder, etwa das Gymnasium, das Kollegium oder die Jesuitenkirche. Die Katakomben darunter, so wollten es die Bauherren, sollten als Grabstätte für Mitglieder des Jesuitenordens und für seine Gönner aus dem örtlichen Adel, Militär und Bürgertum dienen.

So fanden von 1676 bis 1783 mehr als 200 Verstorbene hier ihre ewige Ruhe, bis Kaiser Joseph II. im Jahr 1784 Beisetzungen in den Krypten verbot. Die Bestattung von Antonín Weichs gilt als die letzte Beisetzung an diesem Ort. "Für mich ist es kein Zufall, dass viele der Toten nicht zerfallen und bis heute erhalten sind", sagt Klatovys Vizebürgermeister Václav Chroust. "Sie legten die Verstorbenen in den Särgen auf Holzspäne und Hopfendolden, die eine konservierende Wirkung haben." Entscheidend war jedoch vor allem ein anderer Aspekt: Ein durchdachtes Luftzirkulationssystem aus horizontalen und vertikalen Kanälen, teils bis ins Dach hinauf, sorgte für einen permanenten leichten Windhauch im Untergrund - und ließ die toten Körper auf natürliche Weise austrocknen. Die einzelnen Mumien wiegen daher nur noch acht bis zwölf Kilogramm. Ein großer Wasserkessel in den Gewölben sorgte für die genau richtige Luftfeuchtigkeit.

Was Jahrhunderte funktionierte, fand in den 1930er-Jahren während einer Dachsanierung sein vorläufiges Ende: Arbeiter hatten die durch Pfeilermauern bis zum Dachsims steigenden Luftschächte mit Bauschutt verfüllt und die Zirkulation ungewollt unterbrochen. Das reichte aus, um das Mikroklima in den Krypten so zu verändern, dass ein Großteil der Mumien zerfiel. 140 Leichname wurden 1937 in einem Massengrab auf dem Friedhof von Klatovy bestattet. Ein Gedenkstein erinnert an die Toten.

Die Existenz der Katakomben mit den verbliebenen 38 Mumien rückte indes erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Es sollte aber bis 2011 dauern, bis die Krypten instand gesetzt und in ihren ursprünglichen Zustand gebracht wurden. Wissenschaftler untersuchten die Toten mithilfe moderner Computertomografie. Der Leichnam von Agnes Kunhuta Prichovská von Prichovice - sie war am 10. Oktober 1678 mit 66 Jahren gestorben - war der erste, den sie auf diese Weise erforschten. Die Frau hatte zu Lebzeiten an einer Verkalkung des Brustraums gelitten, möglicherweise Folge einer Tuberkuloseerkrankung.

Diese Tote erhielt sogar ihr Gesicht zurück, indem nach neuestem kriminaltechnischem Standard eine aufwendige Rekonstruktion des Kopfes erfolgte. Auch ihr Gewand wurde originalgetreu neu geschneidert. Die Figur der Agnes Kunhuta Prichovská von Prichovice steht nun durchaus lebensecht in einer Vitrine in den zum Museum ausgebauten Katakomben direkt neben dem Sarg mit ihrer Mumie. "Was du bist, das war ich - was ich bin, das wirst du", scheint sie dem Betrachter zu vermitteln. Die übrigen Toten liegen in mit Stoff ausgekleideten Särgen, darüber jeweils ein Glasdeckel. Als wissenschaftlich überaus interessant hat sich auch der Körper von Jodokus Fabritius von Paterborn erwiesen, 1653 als 50-Jähriger gestorben, um Aufschluss über Krankheiten in jenen Zeiten zu erhalten.

Regelmäßige Untersuchungen an allen Mumien sollen helfen, eventuellen Pilz- oder Bakterienbefall zu erkennen, bei der starken Frequentierung der Krypten sehr wichtig. "Jedes Jahr besuchen etwa 50.000 Menschen unsere Katakomben", sagt Vizebürgermeister Václav Chroust - das entspricht mehr als dem Doppelten der Einwohnerzahl. Die Gruften sind ein wichtiger Faktor für den Tourismus in der Stadt, keine Frage. Die Würde der Toten müsse aber gewahrt bleiben, sagt Chroust, der zugleich die Bürgervereinigung "Katakomby" leitet. Das Museum sei nicht dafür da, Sensationsgier zu befriedigen. "Wir erinnern mit Bildern und Namen an die Verstorbenen und würdigen ihre Arbeit und Leistungen für unsere schöne Stadt." In diesem Sinne sei auch jeder Besucher in den Katakomben von Klatovy willkommen.