Ingolstadt
Bewusste Entscheidung für die Kirche

09.04.2017 | Stand 02.12.2020, 18:20 Uhr

Foto: Marco Schneider

Ingolstadt (DK) Die Osternacht, die kirchliche Feier der Auferstehung Jesu, ist seit Jahrhunderten auch traditioneller Tauftermin. Jahr für Jahr machen sich immer wieder Erwachsene auf diesen Weg. Eine von ihnen ist die Ingolstädterin Jana Hermann.

Durchschnittlich 9000 Erwachsene entscheiden sich jedes Jahr in Deutschland für die katholische Kirche - und lassen sich taufen. "Eine unglaublich schöne Erfahrung", sagt Pfarrer Klaus Meyer aus der Ingolstädter Pfarrei Herz-Jesu. Der Geistliche bereitet selbst gerade eine Frau auf diese Feier vor: Jana Hermann will sich in der Osternacht taufen lassen. Die 55-Jährige will ganz bewusst katholisch werden. Und das in einer Zeit, in der viele, viele Menschen der Kirche freiwillig den Rücken kehren: Das sind der Deutschen Bischofskonferenz zufolge jedes Jahr rund 100.000 Katholiken.

Was bewegt einen Menschen heute, sich nach mehr als 50 Lebensjahren der katholischen Kirche anzuschließen? "Ich bin sicher kein typischer Fall", sagt Hermann und lacht. Aber sie freut sich ungemein auf die Erfüllung eines großen Wunsches - und auf das Ende eines langen Weges. Diese Sache mit der Taufe, die geht ihr schon seit über 20 Jahren nicht mehr aus dem Kopf. Seit sie zusammen mit ihrer Familie kurz nach dem Ende des Kalten Krieges nach Deutschland gekommen ist.

Da erlebte sie ein ganz anderes Bild der Gesellschaft, als sie das aus ihrer Heimat Tschechien gewohnt war. Da stand das sozialistische Regime im Widerspruch zur Kirche, "das war eine richtige Opposition", erinnert sich Hermann. Man habe besser nichts mit der Kirche am Hut gehabt - zumindest nicht so direkt. "Ostern, Weihnachten, da ist man schon gegangen." Und sie beeilt sich noch hinterherzuschieben, dass man sehr wohl nach den Zehn Geboten gelebt hat. Im Alltag, da hätten andere Dinge eine Rolle gespielt. Alles sei von der Arbeit geprägt gewesen und vom Engagement für die Gesellschaft.

Ihre Hochzeit verändert den Blick ein wenig: Die Schwiegermutter organisiert die Taufe des Sohnes. Das war 1986. Die Tochter, zwei Jahre später geboren, wird erst in Deutschland übers Taufbecken gehalten - in Bodenmais, wo Familie Hermann als Spätaussiedler 1994 ankommt und Fuß fasst. "Der Bayerische Wald ist sehr religiös." Der Kirchgang, der Religionsunterricht, die Beziehungen zur örtlichen Gemeinde, das Kirchenjahr . . . Da entsteht ein Traum in der Frührentnerin. "Wenn ich mich taufen lasse, dann in der Osternacht." Und: Der Kontakt zum Pfarrer, die Beziehung muss stimmen. Die bekommt im Bayerischen Wald schnell einen Knacks, bei der Erstkommunion ihrer beiden Kinder muss die Mutter ganz hinten an der Wand sitzen, darf nicht nach vorne. "Ich war ungetauft, das hat der Pfarrer nicht geduldet." Sie bricht wieder mit dem Gedanken. "Ich kann einmal, zweimal im Leben nach Rom fahren, aber wie ich mit dem Pfarrer und der Gemeinde vor Ort auskomme, das ist doch viel wichtiger."

Die 55-Jährige sitzt inmitten eines kleinen Zimmers in ihrer Wohnung nahe der Donau und schaut auf ein abstraktes Bild an der Wand über einem Biedermeier-Sofa. Selbst gemalt, Spachtelmasse auf Leinwand, mit Aquarell farbig gemacht. "Es gab Momente, die haben dieses Denken dann wieder verändert." Ein Chemieunfall in dem Betrieb, in dem sie arbeitet - die schlanke Frau, die ihre blond-grauen Haare nach hinten zu einem Zopf gebunden hat, erlebt einen Nahtod. Den zweiten schon. Viel sprechen will sie darüber jetzt nicht, es hat nichts mit ihrem Taufwunsch zu tun, sagt sie. Aber: Jene Zeit in den Krankenhäusern hat ihr Leben verändert.

Sie zieht sich zurück, zieht weg von Bodenmais, von der Familie, lässt sich in Ingolstadt nieá †der. Und der Wunsch mit der Osternacht wird wieder stärker. "Dieses Bild, aus dem Tod in das Leben zu gehen, das beeindruckt mich." Auch nach ihren Erfahrungen mit Nahtod.

Jana Hermann zeigt auf die Bilder, die in dem kleinen Zimmer hängen. Die Kunst prägt ihr Leben wieder. So wie sie das schon in jungen Jahren getan hat, in der Kunstschule im tschechischen Olmütz. Die Kunst hilft ihr, sie kämpft sich zurück. Langsam. Und jetzt die Taufe. Ein bisschen schüchtern, aber doch stolz steht Hermann auf und holt ein weißes Kleid aus dem Schrank: schlicht, kein Faltenwurf, glatt geschnitten, vier hellbraune Knöpfe. "Das werde ich tragen."

Warum eigentlich die Taufe? Warum katholisch? "Wissen Sie, ich hatte so viel Zeit, mich mit verschiedenen Dingen zu beschäftigen." Hermann richtet ihren Blick auf ein selbst aus Ton geformtes Kreuz. "Ich bin Christin aus Überzeugung." Es sei nicht das Kirchenjahr, sagt sie, nicht der Papst, nicht die Bischöfe, nicht die Heiligen, "es ist einfach meine Einstellung". Die Ingolstädter Pfarrei Herz-Jesu hat sie bewusst ausgesucht, und "die Gemeinde hat mich schön aufgenommen". Sie fühlt sich wohl, engagiert sich, wenn sie kann, geht zur Messe und spricht einmal im Monat mit Pfarrer Klaus Meyer.

Das ist wie in den Anfängen der Christenheit, als die Menschen sich noch bewusst auf die Taufe vorbereitet haben und es noch keine Kindertaufe gab, kein "vererbtes Christentum" wie heute. Da waren die Vorbereitung, das Kennenlernen des Evangeliums, des Katechismus, der Gebote Grundvoraussetzung für die Taufe. Und die wurde nur in der Osternacht gespendet. Erst im 5. oder 6. Jahrhundert setzte sich die Kindertaufe durch. Das Zweite Vatikanische Konzil stärkt die Möglichkeit zur Erwachsenentaufe wieder - und die Menschen nehmen dieses Angebot wahr, wie Pfarrer Klaus Meyer aus eigener Erfahrung weiß: "Frau Hermann ist die vierte Kandidatin in der Pfarrei, seit ich in Herz-Jesu bin." Immerhin neuneinhalb Jahre. Jeden, der kommt, begleitet er dabei: "Jeder hat einen anderen Hintergrund, jeder hat andere Ausgangspunkte und Erfahrungen", berichtet Meyer.

Die Sakramente, die wichtigsten Abschnitte des Katechismus, die Heiligen, das Beten, die Liturgie: Das alles erarbeite er mit den Kandidaten für die Taufe. Und das trägt offenbar nicht nur Früchte für die Taufe: "Mittlerweile hat sich hier eine Gruppe gebildet, die auch nach der Taufe weiter zusammenkommt und sich über den Glauben austauscht." Das sei auch für ihn ein Geschenk, betont Pfarrer Meyer, denn "so kann ich mir immer wieder neu bestimmte Fragen stellen".

So wie sich Jana Hermann erst vor einigen Wochen mit dem Markus-Evangelium auseinandergesetzt hat: Für eine große Ausstellung des Bistums, bei der mehr als 100 Künstler die verschiedenen Gleichnisse aus dem ältesten Evangelium in Kunstwerke umgesetzt haben, wurde auch die 55-jährige Ingolstädterin angefragt. Und sie hat gerne zugesagt. Am vergangenen Freitagabend war die Vernissage in der Eichstätter Johanniskirche - in jener Stadt, in der sie kurz nach Aschermittwoch offiziell in den Kreis der Taufbewerber aufgenommen wurde.

Ihre Taufe wird für sie nicht nur ein privates Ereignis: Die Gemeinde soll und darf daran teilhaben. Eine ihrer beiden Patinnen kommt aus der Gemeinde, die andere reist aus Bodenmais an. "Sie ist auch die Taufpatin meiner Tochter." Die Kinder kommen - und ihre 76 Jahre alte Mutter, die eigens dafür aus Olmütz geholt wird. "Ich bin gespannt, wie es sich anfühlt, dieses ,Danach'." Sie blickt freudestrahlend aus ihren blau-grauen Augen. Für einen kurzen Moment denkt sie richtig streng katholisch: "Was macht dieses Übergießen mit Wasser mit mir, mit meinem Körper" Am kommenden Samstag wird Jana Hermann es wissen.