Bert
Mission Menschlichkeit

02.01.2017 | Stand 02.12.2020, 18:51 Uhr

Foto: DK

Bert Schuler aus Neuburg hilft auf der "Sea-Eye" bei der Flüchtlingsrettung im Mittelmeer. Auch andere Menschen aus der Region machen bei dem Projekt mit: Zwei Eichstätter Malteser betreuen die ehrenamtlichen Einsatzkräfte.

Ich kann nicht tatenlos zuschauen, wie Menschen sterben." Harald Trampert hat eine gehörige Portion Entschlossenheit in seiner Stimme, vielleicht vermischt mit einer kleinen Prise Wut. Deswegen opfert der 48-jährige Eichstätter kurzerhand seinen Urlaub und fliegt nach Malta, wo er sich zusammen mit Kollegen wie Arnd Meyer aus dem Ortsverein Preith (Landkreis Eichstätt) des Malteser Hilfswerks ehrenamtlich um die Einsatzkräfte kümmert, die auf Schiffen wie der "Sea-Eye" aufs Mittelmeer fahren, um schiffbrüchige Flüchtlinge zu retten.

Von den Dramen, die sich tagtäglich auf dem Mittelmeer abspielen, auch jetzt noch, bekommt die Bevölkerung hierzulande nicht viel mit, "nur die Spitze des Eisbergs". Dass immer wieder Menschen aus Afrika auf kleinen Booten von Schleusern auf dem Meer ausgesetzt werden, um Europa zu erreichen, das wissen wir. Dass ein großer Teil dieser Boote aber derart seeuntauglich ist und eine sichere Überfahrt schier unmöglich - mit allen damit verbundenen Konsequenzen -, davor verschließt man gerne die Augen.

Michael Buschheuer nicht: "Menschen ertrinken zu lassen bedeutet moralisches Versagen und ist durch nichts zu rechtfertigen." Der Regensburger Unternehmer hat daher im vergangenen Jahr die gemeinnützige Organisation Sea-Eye gegründet mit dem Ziel, schiffbrüchige Flüchtlinge zu retten. Zwischen Malta und der Küste Libyens hält die Crew Ausschau nach seeuntüchtigen, überfüllten Booten, die zu kentern drohen.

Einer, der bereits zweimal mit der "Sea-Eye" in See gestochen ist und den Ablauf einer Rettungsaktion genau beschreiben kann, ist Bert Schuler aus Unterstall bei Neuburg. Die achtköpfige Besatzung bleibt zwei Wochen lang auf See. Sobald ein Flüchtlingsboot entdeckt wird, fährt der 50-jährige Hobbysegler als Einsatzleiter mit einem kleinen Team im Schlauchboot aus und versucht, einen ersten Kontakt mit den Menschen aufzubauen. "Anfangs sieht man in den Gesichtern vor allem Angst, Panik, aber auch Lethargie und Erschöpfung."

Schuler versorgt die Menschen mit Rettungswesten und Wasser. Wenn das Boot überfüllt oder beschädigt ist und zu kentern droht, werden zusätzlich Rettungsinseln bereitgestellt, Schwerverletzte können an Bord der "Sea-Eye" in einer Krankenstation erstversorgt werden. Gleichzeitig wird ein SOS-Notruf an die "Seenotleitstelle Mittelmeer" in Rom abgesetzt. Nach internationalem Seerecht sind nun alle Schiffe, die sich in Reichweite befinden, verpflichtet, Schiffbrüchige aufzunehmen. Was allerdings mehrere Stunden dauern kann. So lange bleibt die "Sea-Eye" in der Nähe. Die in der Region kreuzenden Marineschiffe sowie die der italienischen Küstenwache zeigen sich dabei sehr hilfsbereit - sie dürfen jedoch nicht selbst aktiv suchen.

"Du merkst in dieser Zeit, wie sich die Mimik der Leute verändert. Hin zu Entspannung, Hoffnung und dem ein oder anderen Lächeln", erinnert sich Schuler, dem vor allem die Dankbarkeit der Geretteten im Gedächtnis geblieben ist. Eine kritische und auch für die Crew beängstigende Situation gab es, als ein Sturm aufzog, den die rund 200 Flüchtenden in ihrem Schlauchboot vermutlich nicht überlebt hätten. Obwohl die nur rund 70 Quadratmeter große "Sea-Eye" nicht auf die Aufnahme von Passagieren ausgelegt ist, entschied die Crew, die Menschen dennoch an Bord zu nehmen. "Rauf mit den Leuten und weg hier."

Die Missionen sind für die Besatzung, die komplett aus Ehrenamtlichen besteht, nicht einfach. Für die Einsatzkräfte wie Bert Schuler sind daher eine gute Vorarbeit und Nachsorge sehr wichtig. Dazu gehört nicht nur das Üben von Rettungssituationen, sondern auch die Vorbereitung auf mögliche konfrontierende Erlebnisse und deren Bewältigung. In diesem Moment werden Harald Trampert, hauptberuflich Referent für Notfallseelsorge beim Bistum Eichstätt und selbst lange im Rettungsdienst, und Arnd Meyer aktiv. Als geschulte Betreuer der Malteser wissen sie: "Die Einsatzkräfte können enorme Belastungen abbekommen. Die Gefahr, angegriffen zu werden, zum Beispiel von selbst ernannter libyscher Küstenwache, ist immer da." Dazu die Konfrontation mit dem Leid der Flüchtenden und deren existenziellem Druck - "viel mehr, als man hierzulande wahrnimmt".

Sehr wertvoll für Schuler sind Tipps, was man tun kann, um "an sich selber zu erkennen, dass man vielleicht ein Problem hat". Die Crew lerne, aufeinander zuzugehen, wenn man erkennt, dass man selbst oder ein anderer möglicherweise mit einer Situation nicht zurechtkommt. Auch wenn die lange Anreise von 24 bis 36 Stunden vom Hafen auf Malta zum Einsatzort in den internationalen Gewässern vor der libyschen Küste als lästig empfunden werde, sei dieser Zeitraum jedoch für die Vor- und Nachbereitung des Einsatzes enorm wichtig. "Auf dem Hinweg baut man eine gewisse Spannung auf: Etwas, das du deiner Lebtag noch nicht mitgemacht hast, kann auf dich zukommen", so Schuler. "Auf dem Rückweg kann man das Erlebte im Gespräch mit den Crewmitgliedern schon mal vorverarbeiten."

Beim Crewwechsel im Hafen von Valetta sind Trampert und Meyer da. Beide wollen etwas tun, ihren Beitrag zur Flüchtlingshilfe leisten, und stellen ihr Fachwissen ehrenamtlich zur Verfügung, um damit die Einsatzkräfte zu unterstützen, vor denen sie einen "riesen Respekt" haben. Auf dem Schiff mitfahren können sie nicht, da sie sonst ihre emotionale Distanz verlieren würden. "Es geht um die Rettung von Menschen, die in ihren Ländern keine Perspektive haben und fliehen müssen, um zu überleben. Das ist gelebte Nächstenliebe." Der Malteser Ortsverein Preith will Sea-Eye auch weiterhin nach seinen Möglichkeiten unterstützen, so Trampert. Er wünscht sich, dass sich die Kirchen hier auch mehr einbringen, beispielsweise durch Freistellung von Mitarbeitern, die ehrenamtlich helfen möchten.

"Wir Malteser gehen stets in Zweierteams runter, einer davon als psychosoziale Fachkraft mit spezieller Ausbildung. Unsere Aufgabe ist es, die Leute vor ihrem Einsatz kennenzulernen, ihnen Möglichkeiten an die Hand zu geben, wie sie auf bestimmte Situationen reagieren können, und so für Stressprävention zu sorgen." Sie schildern die Nachbesprechung nach dem Einsatz der Crew. "Wir fragen die Leute: Was habt ihr erlebt, wie ist es euch auf See ergangen" Der 60-jährige Meyer beobachtet ihre Emotionen, hakt bei Bedarf auch mal in Einzelgesprächen nach. Menschen gut einschätzen und hinter die eigentliche Fassade blicken kann der gebürtige Bremer, der 36 Jahre lang Mitarbeiter bei einer großen Bank war, mehr als 20 Jahre davon im Personalbereich.

Die Malteser geben Tipps, wie es gelingt, sich zu Hause in sein Leben einzuordnen, "seine Wertigkeiten wieder aufzunehmen", wie Schuler es beschreibt. Wie haben ihn seine Einsätze verändert? "Ich sehe vieles mit anderen Augen, bin toleranter geworden." Seine Abneigung gegen rechtspopulistische Strömungen dagegen habe sich verstärkt. "Eindeutig Stellung beziehen, nicht wegkuschen. Das habe ich von da unten mitgenommen." Es bleibt auch eine gehörige Portion Wut. Nicht nur auf Schlepperbanden, sondern auch auf Regierungen, die nichts tun. Und Dankbarkeit für die eigene Situation, das "Bewusstsein, wie gut es uns hier geht".