Berlin
"Hier geht es um Kampfpreise"

Bahnchef Rüdiger Grube über Fernbuskonkurrenz, Pünktlichkeit und Preise

17.04.2015 | Stand 02.12.2020, 21:24 Uhr

Berlin (DK) Eine Mautpflicht für den Linienverkehr hat Bahnchef Rüdiger Grube (Foto) im Interview mit unserer Zeitung gefordert. Außerdem sprach er über Preise und Verspätungen.

Herr Grube, wenn es nicht läuft auf der Schiene, stehen sofort Sie in der Kritik. Fühlen Sie sich manchmal als Prügelknabe der Nation?

Rüdiger Grube: Mir macht meine Aufgabe sehr großen Spaß. Kritik wird es immer geben, ich kann damit umgehen. Selbst wenn 99 Prozent unserer Züge pünktlich wären, hätten wir bei 7,5 Millionen Reisenden täglich noch 75 000 Unzufriedene.

 

Wann haben Sie zum letzten Mal einen unzufriedenen Bahnkunden angerufen und sich persönlich für Verspätungen, falsche Auskünfte oder unfreundliches Personal entschuldigt?

Grube: Heute Morgen! Ich greife fast jeden Tag zum Hörer und rufe Kunden an. Sie sind erstaunt und dankbar, dass ich das persönlich mache. Aber ich telefoniere auch mit Kunden, die uns loben.

 

Sie sind neulich inkognito Fernbus gefahren. Verstehen Sie nun besser, warum die Busse der Bahn massiv Kunden abwerben?

Grube: Ich habe vor allem gelernt, dass es hier um Kampfpreise geht. Man bucht die Busreisen über das Smartphone. Für meine Fahrt – 297 Kilometer von Hamburg nach Berlin – habe ich zwölf Euro bezahlt. Zwölf Fahrgäste waren an Bord, das macht für den Betreiber 144 Euro Umsatz, bei mindestens 450 Euro Kosten. Die meisten Fernbusse fahren mit Verlust, obwohl sie in Sachen Steuern und Abgaben im Vergleich zur Bahn massiv bevorzugt werden. Wir müssen pro Person und Kilometer im Bahn-Fernverkehr mit Trassenbenutzungsgebühren von sechs Cent rechnen. Die Fernbusse zahlen für die Nutzung der Straßen keinen Cent Maut. Die Bahn wird bei EEG-Umlage, Stromsteuer und Klimaabgabe mit über 300 Millionen Euro jährlich zur Kasse gebeten. Bus-Anbieter zahlen auch da keinen Cent. Hier ist der Gesetzgeber gefragt. Warum zahlt nur die Bahn eine Mautgebühr?

 

Wird die Bahn weiter Fahrgäste an die Fernbusse verlieren?

Grube: Man kann Fernbus und Fernzug nicht vergleichen. Der Bus bietet nicht den Komfort, nicht die Schnelligkeit und nicht die Umweltfreundlichkeit unserer ICE-Züge. Im Bus kann man nicht aufstehen oder ins Restaurant gehen.

 

Was will die Bahn künftig im Fernverkehr anders machen?

Grube: Wir werden unser Fernverkehrsnetz um ein Viertel auf 162 Millionen Zugkilometer ausbauen. Durch 190 neue Direktverbindungen und mehr als 25 größere Städte, die neue oder wieder Fernverkehrshalte werden, werden fünf Millionen Menschen mehr als heute direkt am Fernverkehrsnetz angeschlossen sein. Es besteht so die Chance auf jährlich 50 Millionen zusätzliche Fahrgäste im Fernverkehr. Die Bahn wird in den nächsten Jahren zwölf Milliarden Euro in neue Züge investieren. Ab Ende 2017 verkürzen wir die Fahrtzeit von München nach Berlin auf unter vier Stunden. Das ist unschlagbar – im Vergleich zu Fernbus und Flugzeug.

 

Können Sie angesichts der Milliardeninvestitionen versprechen, dass das Preisniveau stabil bleibt?

Grube: Kein Mensch kann 15 Jahre nach vorne schauen. Aber es ist nicht unser Bestreben, das Preisniveau weiter zu steigern. Zum Beispiel werden wir ab August eine Bahncard für drei Monate einführen.

 

Verspätete Züge und verpasste Anschlüsse bleiben ein Dauerärgernis für viele Kunden. Was wollen Sie ändern?

Grube: Unser Ziel ist mehr als 80 Prozent Pünktlichkeit im Fernverkehr. Im ersten Quartal 2015 sind wir gut unterwegs. Im Januar waren 81,6 Prozent der Fernzüge pünktlich, im Februar 83,2 Prozent und im März 81,2 Prozent. Im Nahverkehr erreichen wir beständig sogar Pünktlichkeitswerte von mehr als 95 Prozent. Allerdings sollten wir ehrlich sein: Die Pünktlichkeitswerte könnten sich in nächster Zeit wieder verschlechtern. Wir werden bis 2020 jährlich bis zu vier Milliarden Euro in den Erhalt des Schienennetzes investieren. Deshalb werden wir vermehrt Bauarbeiten und Langsamfahrstellen haben.

 

Mal abgesehen von Verspätungen: Über welche Qualitätsmängel bei der Bahn ärgern Sie sich am meisten?

Grube: Ich ärgere mich, wenn ich über Lautsprecher die Durchsage höre: „Der Zug verkehrt heute in umgekehrter Wagenreihung.“ Das sorgt für unnötige Aufregung und Ärger kurz vor Fahrtantritt. Das wollen und werden wir abstellen. Wenn ein Zug aus welchem Grund auch immer anders einfährt, werden wir in Zukunft dafür sorgen, dass alle auch rechtzeitig informiert sind. Wir bauen ein völlig neues Reise- und Informationssystem auf, das für jeden Kundentypen passt. Dabei machen wir uns Big Data zunutze. Vom Smartphone-Nutzer bis zum Kunden, der seine Karte noch am Schalter kauft: Wir werden in Zukunft für alle das richtige Informationsangebot haben.

 

Nach dem Absturz der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen wird wieder über Gefahren des Reisens debattiert. Wie sicher ist die Bahn?

Grube: Solche Taten wie bei dem Germanwings-Flugzeug kann es bei der Bahn nach menschlichem Ermessen nicht geben. Die Bahn ist das sicherste Verkehrsmittel überhaupt. Unsere Lokführer werden alle drei Jahre medizinisch durchgecheckt, ab 55 sogar jährlich. Die Ärzte prüfen dabei auch mögliche psychische Erkrankungen. Außerdem haben wir modernste Sicherheitstechnik. Einen Zug durch überhöhte Geschwindigkeit in der Kurve gezielt zum Entgleisen zu bringen, ist nicht möglich. Selbst wenn ein Lokführer absichtlich ein rotes Signal überführe, würde der Zug nach kurzer Zeit von unserem Sicherheitssystem automatisch gestoppt.

 

Thema Terror und Kriminalität: Braucht es eine bessere Videoüberwachung in Bahnhöfen und Sicherheitskontrollen auch in den Zügen?

Grube: In der Vergangenheit haben wir massiv in Sicherheitspersonal investiert, jetzt wollen wir noch in diesem Jahr bis zu 100 Bahnhöfe zusätzlich mit Videokameras ausstatten. Tatsächlich sind schon heute praktisch alle großen Bahnhöfe erfasst.

 

Die Lokführergewerkschaft GDL hat die Tarifverhandlungen mit dem Bahn-Konzern erneut für gescheitert erklärt. Müssen Sie sich jetzt auf eine lange Hängepartie einstellen?

Grube: Jetzt kommt es auf Vernunft und Augenmaß an. Uns geht es darum, eine Lösung ohne weitere Streiks zu erreichen. Die Streiks haben schließlich bereits zu Schäden von 166 Millionen Euro geführt.

 

Das Gespräch führten

Antje Schroeder

und Rasmus Buchsteiner.