Audi lotst seine Lieferanten via Satellit

28.08.2015 | Stand 02.12.2020, 20:52 Uhr

Abladeplatz zugewiesen: Der Lkw-Fahrer weiß nun, welche GVZ-Halle er ansteuern muss - Foto: Oppenheimer

Ulf Frenzel ist Testfahrer im Auftrag von Audi. Allerdings braust er nicht mit schnittigen Vorserienautos über materialfressende Rennstrecken. Der 43-Jährige fährt maximal 80 km/h. Er sitzt beruflich hinter dem Lenkrad eines Lkw.

Und er arbeitet auch gar nicht bei der Marke mit den vier Ringen, sondern beim Karlskroner Logistikriesen Scherm. Testpilot ist Frenzel mit seinem 40-Tonner trotzdem – er ist einer von derzeit 25 Lkw-Fahrern, die Audis neues, über GPS-Navigtationssatelliten gesteuertes Teile-Anlieferungssystem auf Herz und Nieren prüfen. Mit der neuen Technik lässt sich viel Zeit und somit auch Geld sparen. Audis Produktionsvorstand Hubert Waltl jedenfalls ist davon überzeugt und hat die Serieneinführung des Systems angeordnet – und zwar schon bis Ende 2016. Dann sollen die meisten Spediteure mit der intelligenten GPS-Software unterwegs sein.

Quick-Check-In nennt sich die App, die die Teile-Anlieferung zunächst bei Audi in Ingolstadt – und später in den Werken des gesamten VW-Konzerns revolutionieren soll. Das Ziel: Die durchschnittliche Durchlaufzeit eines Lkw verkürzen. In Ingolstadt von drei auf zweieinhalb Stunden. „Eine halbe Stunde – das ist sehr viel“, sagt Lutz Roth, Leiter der Transportsteuerung bei Audi in Ingolstadt. Er betreut das Projekt seit dem Start 2013 – und wurde dafür bereits gemeinsam mit seinen Kollegen mit dem VW-Logistik-Innovationspreis 2014 ausgezeichnet.

Um zu verstehen, was die App eigentlich macht, schaut man sich am besten an, wie es bis jetzt zum Großteil noch läuft: Lkw mit Teilen für das Audi-Werk steuern zunächst die Lkw-Leitstelle im Ingolstädter Güterverkehrs-Zentrum (GVZ) an. Hier müssen die Fahrer ihren Lkw abstellen und mit den Lieferscheinen an einen der Schalter gehen. Audi-Mitarbeiter überprüfen die Dokumente und teilen den Fahrern anschließend ein Zeitfenster für einen Abladeplatz zu. Dieses Prozedere kostet viel Zeit. Nicht zuletzt, weil immer mehr Lkw-Fahrer aus Ost- und Südeuropa hinter dem Lenkrad sitzen – und teils nur wenig oder gar kein Deutsch sprechen. Helfen die in zahlreiche Sprachen übersetzten Formulare nicht mehr weiter, müssen die Audi-Mitarbeiter versuchen, sich mit Händen und Füßen verständlich zu machen. Das kostet viel Nerven – auf beiden Seiten.

100 Lkw-Parkplätze stehen direkt vor der Leitstelle zur Verfügung – und die sind meist zum Großteil belegt. Die Audi-Mitarbeiter werden dem Ansturm kaum noch Herr. Um den Verkehr zu entzerren und die GVZ-Mitarbeiter gleichmäßiger auszulasten, versucht Audi, die Anlieferung auf 24 Stunden zu verteilen – doch das System hat seine Grenzen. Vor allem zu Wochenbeginn ist in der Leitstelle die Hölle los: „Montagmorgen ist das hier wie beim Sommerschlussverkauf“, sagt Roth. Doch dank seiner App soll damit nun bald Schluss sein.

„Unser Vorbild war der Flughafen“, erklärt Roth. „Die Leitstelle soll zum Tower werden.“ In Echtzeit können die Mitarbeiter nun sehen: Wo ist der Lkw? Was hat er geladen? Und vor allem: Wird er pünktlich sein? Früher mussten Lkw nur den Tag der Lieferung einhalten. Doch die Zeiten haben sich geändert. Lagerplatz ist knapp und teuer. Die Teile werden größtenteils erst kurz vor der Verarbeitung angeliefert. Deswegen haben die meisten Lkw einen eng getakteten Fahrplan. Für ihre Ankunft haben die Fahrer in der Regel nur eine Toleranz von 15 Minuten. Schaffen sie es nicht pünktlich, wird ihr Zeitfenster für die Abladung an einen anderen Lkw vergeben. Dann muss sich der Fahrer einen neuen Platz zuweisen lassen.

Rund 650 Transporte kommen täglich bei Audi an – davon sind 450 große Lkw. Die Laster sind unterwegs im Namen von etwa 50 Speditionen, bepackt mit Teilen von etwa 1800 Zulieferern. Der Großteil der Lieferanten befindet sich in einem Umkreis von maximal 500 Kilometern. Doch manche Teile werden sogar aus der Türkei geliefert. Nicht jede Lkw-Lieferung eignet sich für das neue System, doch immerhin 350 davon sollen täglich per Geofencing – das ist der Fachausdruck für die GPS-Überwachung – bearbeitet werden.

In der Praxis von Fahrer Frenzel sieht das so aus: Am Morgen hat er in Utting am Ammersee den Audi-Zulieferer Webasto angesteuert. Sobald der Staplerfahrer den Lkw beladen hat, scannt Frenzel mit der Smartphone-Kamera den Barcode des Lieferscheins: Heute sind diverse Spezialbehälter mit Schiebedächern an Bord – insgesamt 15 Tonnen. Nun kann er starten.

Für das Quick-Check-In-System interessant wird Frenzels Fahrt erst, als er den ersten von drei imaginären Radien durchquert. Bei einer Entfernung von 50 Kilometern zum Ingolstädter Werk kontrolliert die Software, ob er pünktlich kommt. Falls nun schon absehbar ist, dass er es nicht rechtzeitig schafft, wird sein Ablade-Zeitfenster bereits an einen anderen Lkw vergeben – Frenzel bekommt dann automatisch einen neuen Platz zugewiesen.

20 Kilometer vor dem Ziel prüft der Computer die Ladeliste: Hat Frenzel die richtigen Teile dabei oder gibt es Unstimmigkeiten? Falls ja, muss er an der Lkw-Leitstelle halten und mit einem Mitarbeiter klären, was schiefgelaufen ist. Vielleicht handelt es sich ja nur um einen Zahlendreher. Passt alles, durchläuft Frenzels Lkw einen Kilometer vor der Ankunft den letzten Radius – dann wird die Ware bereits kurz vor Ankunft automatisch verbucht. Frenzel – und auch den Audi-Mitarbeitern – bleibt dadurch viel lästiger Papierkram erspart. Durchschnittlich werden bei Audi täglich 5000 Lieferscheine gebucht.

Schließlich weist die App Frenzel einen der über 60 Abladeplätze in einer der riesigen GVZ-Hallen zu. Dort wiederum bekommt ein Staplerfahrer eine entsprechende Nachricht über die Ankunft und kann sofort mit dem Abladen beginnen. Allerdings ist Frenzels „Durchlauf“ in Ingolstadt damit noch nicht beendet. Zum Schluss muss er sich noch das entsprechende Leergut abholen. Auch da lotst ihn die Smartphone-App entsprechend.

Noch läuft das Programm auf speziellen verplombten Audi-Smartphones – das hat mit den strengen Vorschriften der IT-Sicherheit zu tun. In Zukunft sollen sich die Spediteure die Quick-Check-In-App einfach runterladen können.

Obwohl die App bei Audi entwickelt wurde, steht Volkswagen drauf – denn die Software soll konzernweit ausgerollt werden. Auch an anderen Standorten laufen deshalb bereits erste Tests, erklärt Roth nicht ohne Stolz: „Das System wird für Spediteure umso interessanter, je mehr Werke mitmachen.“