Ingolstadt
"Ich fühle mich wie eingedellt"

Audi-Mitarbeiter vom Abgas-Skandal betroffen?

30.11.2015 | Stand 02.12.2020, 20:29 Uhr

Alles wie immer? Auf dem Audi-Forum in Ingolstadt kommen alle zusammen. Mitarbeiter, Besucher und Kunden, die ihren Neuwagen im Kundencenter abholen (rechts). Der Abgas-Skandal beschäftigt auch sie - Fotos: Hauser

Ingolstadt (DK) Der Abgas-Skandal erschüttert den VW-Konzern und hat Audi erreicht. Viele Mitarbeiter schwanken zwischen Empörung und Hoffnung, zwischen Ungewissheit und Zuversicht. Wir haben uns auf der Audi Piazza umgehört.

Viele kränkeln. Niesen, Schnupfen. Erkältungskrankheiten. Die gehen um, aber auch vorbei. Sagt die Erfahrung. Gilt das auch für Autokonzerne? Für Städte? "Wenn VW niest, liegt Wolfsburg flach", heißt es. "Wenn Audi hustet, hat Ingolstadt die Grippe", lautet die bislang locker dahingesagte Prognose, aus der bei allen Krisen noch nie eine Diagnose wurde. Was aber, wenn Audi die Grippe hat?
 
Auf dem sozialen Weihnachtsmarkt auf der Audi-Piazza herrscht an einem Tag Ende November munteres Treiben zwischen geschmückten Holzbuden und der Ettinger Straße. Der dicke Morgennebel hat sich verzogen, das Museum mobile glänzt im Sonnenschein mit den blitzenden Karosserien vor dem Auslieferungszentrum um die Wette. Schauen, schlendern, Schlange stehen. An den Ständen für die Getränke, an den Ständen, an denen selbst gemachte Geschenke für einen guten Zweck verkauft werden.

In der kleinen Hütte des Betriebsrats, dem Organisator des kleinen Marktes, will man nicht über den Abgas-Skandal reden. „Wir denken jetzt nur an diesen Markt. Den haben wir lange vorbereitet und uns darauf gefreut.“ – Alles wie immer?

Einer der Verkäufer aus einer pädagogischen Einrichtung der Region will die Manipulationen „absolut“ nicht rechtfertigen. Aber man müsse die Kirche im Dorf lassen. Und dem Unternehmen die Zeit, die Ankündigung, wahr zu machen, alles aufzuklären. „Wobei die scheibchenweisen Informationen nicht vertrauensbildend sind“, gibt er zu bedenken. Und hofft, dass mögliche Kürzungen keine Auswirkungen auf das soziale Engagement des Unternehmens haben. „Gerade hier ist Audi nah an den Menschen dran. Ganz unmittelbar.“ Ebenso bei den Sommerkonzerten mit den beliebten Open-Air-Konzerten im Klenzepark. „Davon haben zehntausende in der Region etwas.“

Audi-Mitarbeiter kommen vorbei, machen auf dem Markt Mittagspause, viele sind an den vier Ringen auf den Jacken zu erkennen. Drei Männer, Mitte 30, stehen an einem Tisch. Wie viele andere wollen sie ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Wie sieht der Arbeitsalltag derzeit aus? „Wir planen weiter. Jetzt verharren macht keinen Sinn“, sagt einer. Transparenz sei nun wichtig. Anerkennend erwähnt wird der Brief des Vorstandsvorsitzenden Rupert Stadler vom 24. November an die Belegschaft, in dem er ankündigt, „die Umstände vollständig zu untersuchen und vollumfänglich aufzuklären“. Die Kollegen nicken zustimmend. Selbstbewusst sein, nicht wegducken, Kopf hoch und den Blick nach vorne richten, lautet die Devise.

Andere fühlen sich hingegen wie angefahren. „Eingedellt“, sagt ein Mann. Erst die Wut und Empörung über den VW-Skandal in Wolfsburg und dann die unausweichliche Tatsache, dass auch im Sechszylinder-Diesel von Audi illegale Software entdeckt wurde. Das erschüttert das Selbstverständnis. „Wir sind doch auf Erfolgskurs. Machen die besten Autos.“ Manch einer ist einfach nur froh, wenn dieses Jahr, das so gut begonnen hat, „vorbei ist“. So, als ob auch der Abgas-Skandal über die Feiertage Pause macht und nach Silvester alles auf Neuanfang steht.

Noch ist nicht abzusehen, welche Folgen der Abgas-Skandal für VW, für Audi und für die Region haben wird. Der Blick geht bang nach Wolfsburg, wo die Werksferien verlängert werden. VW will wohl keine Autos auf Halde produzieren, falls die Nachfrage sinken sollte. Auch die offiziellen und öffentlichen Äußerungen von Audi sind bei aller Deutlichkeit vage. Jedes Wort durchdacht. Noch mehr als sonst. Auf den Prüfstand kam noch nichts, von Einsparungen war auch nicht die Rede. Stattdessen von „Potenzialen“ oder „Abstrichen“.

Audi-Chef Rupert Stadler antwortete im Gespräch mit unserer Zeitung auf die Frage, ob er einen Betrag nennen könne, mit dem Audi von dem Milliardenpaket betroffen sein könnte: „Das kann ich nicht, aber ich denke, wir können damit umgehen.“ Und auch der Oberbürgermeister von Ingolstadt Christian Lösel (CSU) setzt im Interview auf den Dreiklang: aufklären, abwarten, beschwichtigen. „Die Stadt macht weiter wie gewohnt. Unsere Bau- und Investitionsmaßnahmen sind orientiert am Bedarf der Ingolstädter.“

Sorgen machen sich dennoch viele. Wer nicht grübelt, hat die Brisanz der Situation noch nicht erkannt. Wer nicht rechnet, lebt in einer heilen Parallelwelt. Betroffen sind alle. Die Audianer, Menschen in der Stadt, die Zulieferer, die Autohändler – die zurzeit nicht immer auf die Abgaswerte, aber vermehrt und fordernd auf Rabatte angesprochen werden.

Aus dem lichten Kundencenter rollen die Neuwagen über die Audi-Piazza. Ein Geschäftsmann aus dem sächsischen Hoyerswerda lehnt an der Brüstung der Galerie und schaut erwartungsvoll auf sein neues Auto. Ein Q5. Schön, schwarz, schick. Sein Vertrauen sei nicht gestört, er sei nicht einmal irritiert. „Das darf alles nicht passieren, aber es nützt auch nichts, sich jetzt hier festzubeißen“, sagt er pragmatisch. Er kauft weiter die Marke, der er seit Jahren treu ist. „Audi. Nicht VW.“ Eine junge Südkoreanerin, die mit einer Besuchergruppe von der Nürnberger Messe nach Ingolstadt gefahren ist, sieht es anders – unversöhnlicher. Die aktuellen Erklärungen, alles schonungslos aufzudecken, lässt sie nicht gelten. „Erst dann etwas zu ändern, wenn man entdeckt wird, ist unehrlich“, sagt sie – und lächelt mit asiatischer Freundlichkeit.

Das Lachen ist in diesen Wochen vielen vergangen. Auch einem 61-Jährigen, der auf dem Weihnachtsmarkt auf der Piazza seinen Kaffee trinkt. Seit 20 Jahren arbeitet er bei „der Audi“. Wütend sei er nicht, eher fassungslos. Er hofft auf ein „gutes Ende“. Doch das Gefühl der Ungewissheit lässt sich nicht einfach wegwischen. Aber es schweißt zusammen. Deswegen ist ihm wichtig, zu sagen: „Wolfsburg steht hinter VW. Und Ingolstadt steht zu Audi.“