Dreiklang über den Tod

06.02.2011 | Stand 03.12.2020, 3:11 Uhr

Ein Fest mit Freunden feiert der an Aids erkrankte Peter Schonk, bevor er sich mittels Sterbehilfe eine letzte eigene Entscheidung vorbehält. - Foto: Hösl

München (DK) Ein Steinchen auf den Grabstein legen Juden ab, wenn sie dort ihrer Verstorbenen gedenken. Gleich drei solcher "dofèk" waren es, die in der Staatsoper am vergangenen Freitag zusammengefügt wurden zu einem Abend.

Das Judentum, der Tod und die Unmöglichkeit zweier Liebender, rückhaltlos ineinander aufzugehen, waren die Themen, die als dramatische Klammer die ansonsten inhaltlich unverbundenen Einzelteile vereinten. "Rothschilds Geige", eine Oper des bemerkenswerten Schostakowitsch-Schülers Weniamin Fleischmann bildete den ersten der Klänge. Nach einer Novelle von Tschechow entstanden hat dieser Einakter die Unfähigkeit zum Lieben und die mangelnde Begabung zum Glücklichsein zum Thema, denn der Sargmacher und Christ Bronze (hörenswert viril und klangvoll: der Bariton Sergei Leiferkus) ist lebenslang damit beschäftigt, Verlustrechnungen zu führen: Verpasste Gelegenheiten, entgangene Einkünfte, rote Zahlen in der Bilanz. Er erkennt die vergebene Chance seines Lebens erst nach dem Tod seiner Frau Marfa und lernt von dem – einst von ihm verachteten – Juden Rothschild das Trauern. Ihm vermacht er sterbend seine Geige, war doch das Instrument sein einziger Fluchtweg aus dem materiellen Denken und der geistigen Isolation. Musikalisch war diese Oper aus dem Jahr 1941 zweifellos der einprägsamste Teil des Abends, der bei eher zurückhaltender Inszenierung (für alle drei Teile: Miron Hakenbeck) dem Orchester Jakobsplatz München unter Daniel Grossmann bezwingend dicht und farbig gelang.

Der Übergang zum Mittelteil vollzog sich elegant, wie überhaupt der Plan des Regieteams, die drei Teile passgenau zusammenzufügen, bravourös gelang. Die Mitte gehörte dem Wort, einer Dramatisierung einer bemerkenswerten Novelle von Hanna Krall aus dem Jahr 1995. "Die Entscheidung" schildert den selbst gewählten Tod des unheilbar an Aids erkrankten Peter Schonk. Die Autorin (Sabine Kastius), deren Stimme als Tonspur das Schauspiel dominiert, beschreibt den Verstorbenen, den sie kaum kannte und noch weniger verstehen konnte. Intimste Details seines Lebens und Sterbens fügen sich zu einer scheinbar gradlinigen Identität zusammen – und Andreas Christ verleiht dem Niederländer, der den Kampf mit seiner Krankheit verloren hat, zwingende Bühnenpräsenz. Dass sich nach seinem bis hin zum Druck der Todesanzeige vorausgeplanten Ende herausstellt, dass sich Schonk stets fälschlich als Jude beschrieben hat, verleiht diesem Mittelteil eine schimärenhafte Unschärfe.

Das dramaturgische Herzstück des Abends sollte dann am Ende folgen, der Operneinakter "Herzland" der Komponistin Sarah Nemtsov. Anders als bei den ersten beiden Teilen sind es hier nicht Infektionskrankheiten, die zum Tod führen, sondern der Tod selbst erdrückt das Leben, die Liebe. Paul Celan litt lebenslang als überlebender Nachkomme einer während der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus durch Deutsche ausgelöschten Familie unter einer Stellvertreter-Depression. Die Oper behandelt die gegenseitige, aber nicht alltagstaugliche Liebe des Dichters und seiner starken, aus französischem Adel entstammenden katholischen Ehefrau, die ihn auch nach einem Mordversuch an ihr und seinem Selbstmordversuch, weiter liebevolle Briefe schrieb. Doch Celan war für dieses Dasein zu dünnhäutig – in seinen Kalender notierte er am 19. April 1970 "Départ Paul" und sprang in die Seine.

"Herzland" konnte allerdings weniger überzeugen als die beiden anderen Teile des Abends – die schwierigen, durch die nervös-gebrochene Kompositionssprache kaum verständlichen Texte aus dem Briefwechsel zwischen Paul Celan und seiner Frau Gisèle fehlten auf der Übertitelungsanlage, und so blieb die innere Handlung der Szene anämisch und fremd.