Kreislauf der Emotionen

01.03.2009 | Stand 03.12.2020, 5:09 Uhr

Dramatische Töne eines leisen Instruments: Mandolinen-Virtuose Avi Avital spielt Vivaldi. - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Die Mandoline ist wahrscheinlich das ungünstigste Orchesterinstrument überhaupt. Es ist eigentlich viel zu leise, um sich gegen Streicher und Bläser durchzusetzen. Und der Reiz seiner Klangfarbenpalette ist zu intim, um sich in großen Sälen entfalten zu können.

Das zweite Konzert des kleinen Festivals des Georgischen Kammerorchesters über ausgefallene Instrumente, stellte nun ausgerechnet dieses Mauerblümchen des klassischen Instrumentariums in den Mittelpunkt – und begeisterte das Publikum im Ingolstädter Festsaal. Der Erfolg hat zwei Urheber: Natürlich der begnadete israelische Virtuose Avi Avital und überraschenderweise der höchst einfühlsame Komponist Avner Dorman (Jahrgang 1975).

Wie wunderbar die Mandoline klingen kann, wenn sie auf Weltklasse-Niveau gespielt wird, zeigte Avitar gleich bei seinem ersten Auftritt mit dem D-Dur-Konzert von Antonio Vivaldi.  Avitar vermag, das scheinbar Unmögliche Wirklichkeit werden zu lassen. Er gestaltet, formt und windet die melodiösen Phrasen mit seinem goldenen Anschlag so suggestiv, dass sie wie gesungen erscheinen, dass sie lebendiger wirken, als das, was viele Geiger oder Cellisten ihrem Instrument entlocken. Und Ariel Zuckermann nimmt sein in kleiner Besetzung agierendes Georgisches Kammerorchester so sensibel zurück, dass die wunderbar sprechenden Zupftöne genügend Entfaltungsraum finden.

Der Reiz des Vivaldis wird allerdings noch übertroffen vom Dorman-Konzert. Denn der junge Komponist hat sich auf die spezifischen Charakteristika des ausgefallenen Instruments eingestellt. Man merkt: Er hat das Konzert nicht nur  Avital gewidmet, sondern es auch in Zusammenarbeit mit dem Interpreten komponiert. Die Stärken des Zupfinstruments sind zweifellos das Tremolo und das Arpeggio. Sie bestimmen den Charakter des Werks. Packend wird das Stück allerdings durch seine interessante Tonsprache. Dorman gelingt es, mit winzigen Andeutungen von Melodien in einem Meer atonaler Dissonanzen größte Emotionen zu entfachen. Diese wenigen melancholischen Sekundschritte ragen heraus aus dem meditativen Einleitungsteil und packen uns emotional. Im Mittelteil fesselt das Publikum die suggestive Rhythmik, die an die Werke von Astor Piazzolla erinnert. Aber Dorman vermag noch mehr: Da sein thematisches Material so wirksam strukturiert ist, bleibt es in der Erinnerung. Und so sind wir überrascht, wenn wir ihm im Schlussteil des Konzerts wiederbegegnen, diesmal allerdings noch verhaltener, noch niederschmetternd melancholischer heran dämmernd, begleitet von uhrwerkhaft die Zeit einteilenden Bass-Pizzicati.  Der Kreis schließt sich. Wir begreifen auf einmal: Was hier geschildert wird, ist gleichsam die Geschichte eines Organismus, der allmählich sein Leben aushaucht. Derart blendend komponierte zeitgenössische Musik ist seit langer Zeit nicht mehr im Festsaal erklungen.

Eingerahmt wurden die beiden Mandolinen-Konzerte von zwei der populärsten frühen Haydn-Sinfonien: "Der Morgen" und "Der Abend". Der Klassiker hat hier noch nicht ganz zur Sonatenhauptsatzform seiner berühmten Sinfonien gefunden. Vieles erinnert  ans barocke Concerto grosso. Bei der Aufführung mit Ariel Zuckermann und dem Georgischen Kammerorchester war das allerdings gerade ein Vorteil. Die unzähligen Solopassagen für Violine, Fagott, Flöte, Bratsche und sogar Kontrabass belebten wie Farbtupfer in einem Bild das musikalische Geschehen. Und die Georgier konnten wieder einmal zeigen, über was für vorzügliche solistisch agierende Musiker sie verfügen. Ariel Zuckermann aber dirigierte mit überschwänglicher Leichtigkeit, mit genau dem hintergründigen Humor, der diesen Werken so gut tut. Das Publikum raste vor Begeisterung, und die Georgier präsentierten eine neuartige Zugabe. Auf Zuckermanns Einsatz hin skandierten die Musiker: "Bis morgen" – dem Termin für das nächste Abonnement- Konzert.