Der Wille zum Glück

24.02.2009 | Stand 03.12.2020, 5:10 Uhr

Der Schriftzug verschwindet: Pavol Breslik (Gennaro), Edita Gruberova (Lucrezia Borgia) und Steven Humes (Gubetta) in München. - Foto: Hösl

München (DK) Der perfekte Opernabend ist nicht konstruierbar. Das ist die wehmütige Erkenntnis nach der Münchner Premiere der wenig gespielten Donizetti-Oper "Lucrezia Borgia" über die mütterlichen Sehnsüchte einer Giftmischerin und Intrigantin.

Der Coup war perfekt besetzt: Eine Ausnahmekünstlerin auf strahlendstem Niveau, ein ideal besetztes junges Ensemble, der willig agierende Apparat einer Staatsoper, ein Werk von mitreißender Dramatik – heraus kam ein wirklich sehr guter Opernabend, aber leider nicht der zündende Rausch der einen, unvergesslichen Nacht, den sich mancher erträumt hatte.

Für Edita Gruberova, die dieses Jahr ihr 40. Bühnenjubiläum feiern kann und durch Begnadung, Intelligenz und eherne Disziplin noch immer in einmaliger Form in einem Fach dominiert, in welchem die Stimme normalerweise schnell altert, war es ein verdient umjubelter Auftritt. "L’unica", wie ihre Fans sie nennen, wird wissen, dass man wirklich große Opernabende nicht erzwingen kann, dass man aber durch Arbeit eine maximale Nähe dazu erreichen kann.

Die Rolle der reifen und desillusionierten Renaissance-Fürstin Lucrezia Borgia gibt der Belcanto-Göttin hierzu eine Steilvorlage: Donizetti erzählt den traurigen Versuch einer machtversessenen und skrupellosen Herrscherin, ihren illegitimen Sohn zu retten – der die eigene Mutter nicht kennt und die Borgia abgrundtief hasst. In nur einem, in seinem Herzen will sie "Mitleid und Liebe" erwecken – doch jenen einzigen Menschen zu überzeugen, bleibt ihr versagt. Einmal muss sie ihren Sohn vergiften, weil sie ihr Mann dazu zwingt – sie kann ihn mittels Gegengift retten. Doch als sie wenig später Rache an einer Gruppe junger Männer üben will, von der sie verhöhnt wurde und wieder einen Gifttrunk zum Einsatz kommen lässt, ist Gennaro erneut unter jenen und verweigert diesmal kalt die Einnahme des Gegengiftes.

Die Borgia singt so über der Leiche ihres Sohnes eine große und schwere Koloraturarie – diese boxte bei der Uraufführung die mächtige Primadonna durch, und Donizetti musste zähneknirschend alle dramaturgischen Erwägungen zurückstellen.

Dass der Münchner Abend nicht zu einer reinen Gruberova-Gala wurde, war für die anderen Sänger wahrscheinlich die größte Herausforderung und führte zu einer rundum inspirierten sängerischen Leistung. Herzog Alfonso (Franco Vassallo) gelang es mit der wohl bekanntesten Arie des Stückes ("Qualunque sia . . ."), einen differenzierten ehelichen Gegenspieler der Borgia zu skizzieren. Wie sich diese Gatten in eiskalter Wut hinter der Maske höfischer Etikette befehden, das hat Klasse. Obwohl erkältungsbedingt als reduziert angekündigt, waren der heimliche Sohn Gennaro (Pavol Breslik) und sein Freund Maffio (Alice Coote in einer Hosenrolle) voll überzeugend.

So schlüssig die Sängerführung an diesem Abend war – so uninspiriert klang das Orchester aus dem Graben. Der Funke wollte nicht zünden – obwohl sich Dirigent Bertrand de Billy redlich mühte. Auch die Regie ermöglichte einerseits den Sängern ihr Brillieren, andererseits dämpfte sie den Gesamteindruck nach Kräften. Anscheinend hatte sich Christoph Loy alles staatstheatermäßige Protzen versagt und ließ sich so auf eine Podest-Bühne ein (Henrik Ahr), deren Grundsatz Reduktion bis zur Schäbigkeit scheint. Die Kostüme von Barbara Drohsihn wollen womöglich viel erzählen – kurze Hosen für die Jugend, gutgeschnittene Anzüge mit soldatischem Schuhwerk, eine Art Robin-Hood-Look wie bei zweitklassigen Mittelalter-Spektakeln während des zweiten Akts und für die Titelrolle je nach Situation mal große Robe, mal Hosenanzug. Aber ein Gesamtkonzept lässt sich auch hier nicht erkennen. Ein stilles Wandern der Bühnenrückwand mit den Leuchtbuchstaben "Lucrezia Borgia" wird so zum melancholischen Zeitmesser während der ganzen Vorstellungsdauer – ist der letzte Buchstabe auf der Seitenbühne verschwunden, endet das Spiel. Es hätte ein großer Abend werden sollen.

Weitere Vorstellungen an der Staatsoper am 28. Februar, am 5., 10. und 15. März sowie im Juli.