Zürich
"Menschen sind käuflich"

Der Schweizer Schriftsteller Martin Suter über seinen neuen Roman "Montecristo", Verschwörungstheorien und arbeitslose Banker

27.03.2015 | Stand 02.12.2020, 21:29 Uhr

Zürich (DK) „Menschen sind käuflich, weil sie vom Geld abhängig sind.“„Korrumpiert werden ist keine schweizerische Exklusivität.“ In seinem neuen Roman „Montecristo“ setzt sich der Schweizer Autor Martin Suter mit dem Finanzwesen in seiner Heimat auseinander. Im Interview mit unserer Zeitung spricht er über Verschwörungstheorien, „Blutgeld“, arbeitslose Banker und die schwindende Unabhängigkeit von Journalisten.

Herr Suter, glauben Sie an Verschwörungstheorien?

Martin Suter: Ich glaube, uns wird nicht alles gesagt. Und dass es Geheimnisse gibt, die gepflegt und sorgfältig gehütet werden. Aber ich bin einigermaßen überzeugt, dass die Mondlandung stattgefunden hat. (lacht)

 

In Ihrem neuen Roman „Montecristo“ führen zwei Geldscheine mit der gleichen Seriennummer den Journalisten Jonas Brand zu einer Verschwörung im Finanzwesen. Halten Sie diese Zusammenhänge für möglich?

Martin Suter: Die Umstände und die Details sind realistisch genug, um sie wirklichkeitsnah erscheinen zu lassen. Ob so etwas passieren könnte oder vielleicht passiert ist, weiß ich nicht. Ich gehe aber davon aus, dass die Realität in vielen Fällen die Fiktion übertrifft.

 

In der Geschichte wird Jonas Brand dazu gezwungen, seine Ideale zu opfern. Hat jeder seinen Preis?

Martin Suter: Menschen sind käuflich, weil sie vom Geld abhängig sind. Es stellt sich auch die Frage, ob es eine Größe eines möglichen Schadens gibt, die das Aufgeben eines Ideals, unethisches Verhalten oder sogar ein Verbrechen rechtfertigt. Ich habe keine Antwort darauf, aber die Frage ist interessant.

 

Der Politiker und Globalisierungskritiker Jean Ziegler bezeichnet die Schweizer Führungsschicht als „korrupte Herrschaftselite“. Wie sehen Sie das?

Martin Suter: Korrupt im Sinne von Spanien oder Guatemala – um die beiden Länder zu nennen, die ich kenne – ist die Elite nicht. Aber man kann ja auch in anderer Form korrumpiert werden, in jeder Branche, das ist keine schweizerische Exklusivität. Ich glaube, dass Macht korrumpiert und dass die Inhaber der Macht entsprechend anfällig dafür sind.

 

Den Schweizer Banken wirft Jean Ziegler Komplizenschaft mit afrikanischen Diktatoren vor, es geht um Milliarden Fluchtkapital aus der Dritten Welt. Ziegler spricht von „Blutgeld“ – würden Sie ihm widersprechen?

Martin Suter: Ich widerspreche Ziegler eigentlich nur manchmal in der Überspitzung. Aber im Prinzip hat er Recht. Man hat es ja jetzt gerade gesehen: Die Bank HSBC hat offenbar nicht nur nicht gemerkt, dass das Geld, das von gewissen Leuten kommt, nicht ganz sauber ist – sie hat diese Geldströme gezielt gesucht. Das haben die anderen Banken sicher auch gemacht und machen es vielleicht immer noch. Wir haben als Kinder schon darüber geredet, dass auf den Banken große Schätze von Holocaust-Opfern liegen. Nur die Banken haben so getan, als ob es nicht so sei. Und dann haben sie es zugeben und dafür Entschädigung zahlen müssen. Ob die Proportionen dabei gewahrt blieben oder ob sie nicht ein bisschen mehr hätten herausrücken müssen, weiß ich nicht.

 

In einem Interview im Schweizer „Tages-Anzeiger“ drückten Sie jüngst Ihr Mitgefühl für Banker aus, die ihren Job verloren haben.

Martin Suter: Die Banker, die ich meine, sind kaufmännische Angestellte. Sie haben überhaupt keine Macht. Es sind einfache Schalterbeamte, die im kleinen Rahmen angesehene Respektspersonen waren. Ich finde das nicht gerecht, wenn sie ihren Job verlieren wegen Entscheidungen, die sie in keiner Weise beeinflussen können. Diese Leute müssen nicht für das Verhalten der Eliten bestraft werden.

 

Jean Ziegler behauptet, Journalisten in der Schweiz könnten keine kritischen Artikel, z. B. über Börsenspekulation auf Grundnahrungsmittel veröffentlichen. Ist dem so?

Martin Suter: Er wird das nicht ohne Grund sagen. Ich weiß nicht, ob er meint, dass es von Staats wegen her unterdrückt wird. Ich habe eher das Gefühl, dass es sich schlecht verkaufen lässt. Ein Artikel, wie ihn Jean Ziegler erwähnt, hat vielleicht weniger Aussicht auf Klicks. Nicht weil er zu kritisch ist, sondern weil er zu Wenige interessiert.

 

In Ihrem Roman findet der unabhängige Journalismus auch seine Grenzen, sobald nationale oder internationale Wirtschaftsinteressen berührt werden.

Martin Suter: Ja. Das hat man so in allen Konflikten und Kriegen gesehen. Im letzten Weltkrieg gab es eine Pressezensur in der Schweiz. In den amerikanischen Konflikten gibt es die Embedded-Journalists.

 

Der Ehrgeiz, bedeutend zu sein mit dem was man tut, wie groß ist der bei Ihnen?

Martin Suter: Bedeutend weiß ich nicht. Aber ich würde immer versuchen, es so gut wie möglich zu machen. Sonst macht es ja keinen Spaß.

 

Das Interview führten Maren Schuster und Martin Paul.