Wien,
Kopfüber ins Bücherglück

19.12.2014 | Stand 02.12.2020, 21:50 Uhr

Schreibt Erfolgsgeschichten: Petra Hartlieb - Foto: Reich

Wien, 18. Bezirk. Währinger Straße. Auf halber Strecke zwischen Kutschkermarkt und Schubertpark liegt eine Buchhandlung. „Hartliebs Bücher“, steht auf der Markise. Große Fenster. Braune Schaufensterrahmen aus den 70ern. Davor eine kindgroße Pixi-Figur in roten Stiefelchen. Im Inneren: Regale bis zur Decke. Bücher, wohin man blickt. „Es gibt kein Mausloch, wo nicht ein Buch drinsteckt“, sagt Petra Hartlieb. Eine Lieblingsecke? Sie überlegt. „Kann ich eigentlich gar nicht sagen. Die Buchhandlung ist so klein, da ist alles eins.“ Seit zehn Jahren gehört die Buchhandlung den Hartliebs.

Dabei kommt Petra Hartlieb, 1967 in München geboren und in Oberösterreich „in einem eher bildungsfernen Haushalt“ aufgewachsen, gar nicht aus der Branche. Ihr allererster Berufswunsch: Schauspielerin. Doch dann studiert sie Psychologie und Geschichte in Wien und arbeitet als Pressereferentin bei verschiedenen Verlagen in Wien und Hamburg, später als Literaturkritikerin für den NDR, Ö1 und die „Financial Times“. Die Familie bewohnt eine schöne Altbauwohnung im Hamburger Uni-Viertel, Ehemann Oliver hat einen gut bezahlten Job in einem Verlag, die kleine Tochter einen der begehrten Ganztagskindergartenplätze, der große Sohn ist gerade verliebt. Das alles aufzugeben, ausgerechnet in einer Zeit, in der allerorts der Niedergang des Buches beklagt wird, und ins Buch-geschäft einzusteigen, klingt eigentlich ziemlich verwegen.

Es ist verwegen. Aber Petra Hartlieb hat es getan. Eigentlich sind sie zu Besuch bei Freunden in Wien, als sie auf die kleine Buchhandlung stoßen, die zum Verkauf steht. Aus einer Laune heraus geben sie ein Angebot für das Objekt Nr. 45896 ab – und erhalten den Zuschlag. Der Beginn ist ein großes Chaos und geprägt durch Arbeit, Arbeit, Arbeit, Freundschaften, die erst vieles ermöglichen, und einen ungebrochenen Durchhaltewillen. Doch die Buchhandlung wird zur Erfolgsgeschichte. Die Hartliebs erweitern, eröffnen sogar eine zweite Buchhandlung im 9. Bezirk (eine Hälfte mit allgemeinem Sortiment, die andere Hälfte fremdsprachig), beschäftigen sieben Angestellte. Und Petra Hartlieb schreibt die Geschichte auf. „Meine wundervolle Buchhandlung“ erzählt von den schwierigen Anfängen, von ungewöhnlichen Personalentscheidungen, Umbauten, EDV-Krise, 70-Stunden-Wochen, vom Kampf David (Buchhandlung) gegen Goliath (Amazon). Aber auch von der Leidenschaft für Literatur. Vom Glück der Begegnungen – etwa mit T. C. Boyle oder Sven Regener. Von Kundinnen, die selbst gebackene Plätzchen vorbeibringen. Wie es ist, wenn Arbeit und Leben und Familie eins sind (weil man ja über der Buchhandlung wohnt). Und davon, dass in dem mittlerweile 60-Quadratmeter-Laden mehr als Bücher verkauft werden. Hinterm Tresen wird mit Informationen gehandelt – über Tagesmütter, Klavierlehrer oder Putzfrauen. Es werden Schlüssel hinterlegt. Es kommt schon mal vor, dass ein Kind hier wegen einer Straßenbahnpanne zu Hause anruft. Oder ein anderes mit Playmobilfiguren „Einkaufen bei Hartliebs“ nachspielt. Bisweilen diskutiert Petra Hartlieb mit den Kollegen darüber, ob es eine Schweigepflicht für Buchhändler geben sollte – denn natürlich verraten die Käufe (vom Scheidungsratgeber bis zum Schwangerschafts-Standardwerk) auch viel über die Käufer.

Fragt man Petra Hartlieb, ob sie nun eigentlich Bücher oder doch eher Geschichten verkauft, bekommt man als Antwort: „Wir sehen uns alle als Geschichtenverkäufer. Manchmal bin ich so begeistert, dass es mir fast leid tut, Geld dafür nehmen zu müssen. Denn ich will einfach, dass die Leute die Geschichten lesen.“

Die Idee, ein Buch über ihr Abenteuer zu schreiben, kam eigentlich gar nicht von ihr selbst. Sondern von Jo Lendle – früher Geschäftsführer bei Dumont, heute Chef des Carl-Hanser-Verlags – nach einer Begegnung mit dem chaotischen Hartlieb-Alltag. Petra Hartlieb hatte sich bereits als Autorin einen Namen gemacht. Zusammen mit Claus Bielefeld veröffentlichte sie bei Diogenes drei Krimis, ein vierter soll im Frühjahr erscheinen. Und obwohl sie die Idee für Spinnerei hielt, setzte sie sich hin und probierte es einfach aus. „Ich habe wahnsinnig lang gebraucht, um den richtigen Tonfall zu finden. Es sollte nicht so eine betuliche Ich-erfülle-mir-meinen-Lebenstraum-Chose werden. Es sollte witzig, ehrlich und selbstironisch sein“, erzählt Petra Hartlieb. Als sie zehn Seiten hatte, schickte sie es dem Verlag. Der es sofort kaufte. Den Titel – Vorschlag des Verlags – findet sie zwar ein wenig kitschig, „aber mir ist auch nichts Besseres eingefallen. Und ich bin da als Autorin relativ unkapriziös“.

Mittlerweile hat sich das Buch 20 000-mal verkauft. Petra Hartlieb bekommt viel Post – nicht nur von Buchhändlern. „Das sind Leute, die einen Fahrradladen haben, eine Apotheke, einen Teeladen. Die schreiben dann: Ja, bei uns ist es ähnlich. Mein Buch ist so ein bisschen das Lieblingsbuch des Einzelhandels geworden.“ Mittlerweile hat es sogar einen kleinen Buchhandelstourismus ausgelöst: „Vor allem viele deutsche Touristen, die das Buch gelesen haben und nach Wien kommen, schauen vorbei. Manchmal fragen sie auch ganz verschämt, ob sie ein Foto machen dürfen.“ Und viele kommen einfach mal so vorbei – zum Gucken.

Vergangene Woche etwa – der Laden war knallvoll, Petra Hartlieb wirbelte herum und bediente mehrere Kunden gleichzeitig – stand da in einer Ecke der Buchhandlung ein Mann, „der die ganze Zeit nur guckte und lächelte“. Als sie ihn ansprach, erklärte er: „Ich lese gerade Ihr Buch. Und wollte gucken, ob es Sie wirklich gibt.“ Petra Hartlieb lacht.

Auch wenn Bücher glücklich machen, mitten im Weihnachtsgeschäft fühlt sie sich vor allem – „müde“. Sie zählt die Tage bis zum Fest, inzwischen auch schon die Stunden vom Arbeitsbeginn bis zur Mittagspause und bis zum Abend. „Es geht an die Grenzen“, sagt sie.

Ihre Pläne für 2015? „Weniger arbeiten“, kommt die prompte Antwort. Und: „Sicher keine neue Buchhandlung. Nächstes Jahr werde ich versuchen, mal darüber nachzudenken, was ich als nächstes schreiben könnte. Das wird nach diesem Buch schwierig.“

Petra Hartlieb: Meine wundervolle Buchhandlung, Dumont, 18 Euro. Infos unter www.hartliebs.at.