Talentsuche in Netz

Verlage sehen Selfpublishing eher als Chance denn als Schaden für die eigene Arbeit

12.03.2013 | Stand 03.12.2020, 0:24 Uhr

Ingolstadt (DK) Das große Beispiel ist „Fifty Shades of Grey“, die Roman-Trilogie, die Erika Leonard unter dem Pseudonym E. L. James erfolgreich zunächst als E-Book veröffentlichte, bevor sich der Goldmann-Verlag die deutschsprachige gedruckte Version sicherte. Dieser vor allem auch kommerzielle Erfolg beflügelt nun all jene, die ohne den traditionellen Weg über einen Verlag und dessen womöglich strengem Lektorat schnell zu ihren Lesern und zum Autorenhonorar kommen wollen. „Selfpublishing“, das eigene Veröffentlichen literarischer Werke im Internet, ist ein Thema für Verlage geworden, aber nicht in erster Linie als Konkurrenz.

So formuliert es nicht nur Marcus Gärtner, Programmleiter Taschenbuch Belletristik des Rowohlt-Verlages. Zwar ändere sich die Arbeit der Verlage mit diesem neuen Autorentyp. Der zeichne sich dadurch aus, dass er beispielsweise im Bereich der „Fan-Fiction“ etwas weiterführe oder eine neue Geschichte in Anlehnung des Originals erfinde. Er konsumiere nicht nur, sondern produziere selbst. Doch gebe es im deutschsprachigen Raum noch nicht so viele Selfpublishing-Autoren.

Dennoch beobachte Rowohlt die Szene, um Talente zu finden. „Erst im Januar haben wir Carina Bartsch mit zwei Titeln in unser Taschenbuch-Programm aufgenommen. Sie hatte sich mit ihren E-Books im Internet durchgesetzt“, sagt Gärtner. Die 1985 im fränkischen Erlangen geborene Autorin hat die Freude über diesen Erfolg auf ihrer Internetseite gepostet. Am liebsten würde sie in jedem Buchladen mit dem Finger auf „Kirschroter Sommer“ und „Türkisgrüner Winter“ deuten und „meins, meins, meins“ rufen. Gedrucktes hat also einen anderen Wert, gilt als Auszeichnung.

Darüber freut sich auch Martina Gercke, die „Holunderküsschen“, zunächst über Kindle-Direct-Publishing selbst verlegte, das auf der Top-10 Kindle-Bestsellerliste des Jahres 2012 den ersten Platz belegt. Noch vor der E-Book-Version der Bestseller „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ von Jonas Jonasson und Fulvio Di Lucas „Der Junge, der Träume schenkte“. Auch „Holunderküsschen“ ist jetzt als Taschenbuch zu haben. Dass die Leser insbesondere in den drei Bereichen Unterhaltungsliteratur, Fantasy und Krimi sich auf das Abenteuer der selbst verlegten Bücher einlassen, zeigt die Top-10 der Kindle-E-Books deutlich: Drei weitere Selbstverleger-Autoren verdrängten Charlotte Links Bestseller „Der Beobachter“ auf den achten Platz.

„Die Hemmschwelle ist einfach niedriger. Und zwar für beide Seiten“, beschreibt Ina Fuchshuber, verantwortlich für die Selfpublishing-Plattform neobooks.com der Verlage Droemer-Knaur die Beliebtheit der E-Books im Selbstverlag. Droemer-Knaur hat 2010 die Plattform neobooks als Talent-Scouting und Kontakt zur Netzgemeinde der Autoren aufgebaut. „Hier schlummert ein riesiges Potenzial. Wir nutzen neobooks auch, um abzusehen, welche Autoren und welche Genres bei E-Books beliebt sind und sich durchsetzen.“ Im vergangenen Oktober wurde neobooks.com ausgebaut. „Wir sind jetzt auch Dienstleister. Unsere Autoren erhalten 70 Prozent Honorar. Dafür bieten wir ein Vertriebs- und Distributions-Netzwerk“, sagt Fuchshuber.

Das Autorenhonorar bei neobooks ist dasselbe wie bei Kindle Direct Publishing. Mögen auch die 99 Cent oder 2,60 Euro – „der Durchschnittspreis bei neobooks“ – zunächst wenig sein. Sind erst einmal 20 000 Exemplare verkauft, ist es für Autoren lukrativ. Auch wenn sie „viel Arbeit haben, sich um alles kümmern müssen, vom Cover bis zum Marketing,“, sagt Fuchshuber. Die Qualitätskontrolle, auf die sich die Leser beim gedruckten Buch durch das Verlagslektorat verlassen konnten, werde im Internet durch die Netzgemeinde und deren Rezensionen ersetzt – „das geht ganz schnell“. Der Leser sei mehr gefragt und müsse auch mal hinnehmen, dass das eine oder andere nicht die Qualität wie im Print habe.

Auch eine weitere Kehrseite des freien Zugangs im Internet, mögliche Plagiate, nehmen die Verlage gelassen: „Wir gehen gerade juristisch gegen eine glatte Nacherzählung vor“, sagt Marcus Gärtner.