Stuttgart
Im Stau

Stuttgart-"Tatort" ist spannendes Kammerspiel

08.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:31 Uhr

Stuttgart (DK) Wer kennt diese Situation nicht? Man steht im Stau. Auch Autor und Regisseur Dietrich Brüggemann hat so etwas schon erlebt, vor Jahren bei Dreharbeiten in Stuttgart. Jetzt hat er daraus einen "Tatort" gemacht, seinen allerersten.

Der Titel: "Stau".

Ein 14-jähriges Mädchen wird in einer Wohnstraße totgefahren. Es sieht nach einem Unfall mit Fahrerflucht aus. Oder war es Absicht? Der Täter ist getürmt. Einziger Zeuge ist ein dreijähriger Junge. Bald stellt Kommissar Lannert (Richy Müller) fest, dass der Fahrer (oder die Fahrerin) noch nicht weit sein kann. Denn an der Panoramastraße Neue Weinsteige in Stuttgart herrscht der tägliche Feierabendstau, der infolge eines Wasserrohrbruchs diesmal zu einem Totalstau geführt hat. Und mittendrin muss der Täter stecken. Jetzt gilt es, ihn dort ausfindig zu machen - möglichst bevor sich der Stau auflöst und er davonkommt. Lannert reiht sich ein in die Autoschlange, kämpft sich mithilfe der Schutzpolizei durch die stehende Fahrzeugkolonne. Kollege Bootz (Felix Klare) bleibt derweilen am Tatort, befragt die Mutter des Jungen, malt mit dem Kleinen und kümmert sich um die Eltern des Opfers.

Es ist ein originelles Krimi-Setting, das der 20. "Tatort" des Ermittler-Duos aus dem Schwabenländle zu bieten hat. Und eines, das voller Möglichkeiten steckt, die der Regisseur bestens zu nutzen weiß. "Stau" ist ein Kammerspiel unter freiem Himmel. Gedreht wurde es aber nicht am Originalschauplatz Weinsteige, wo täglich im Schnitt 45 000 Fahrzeuge von Degerloch in den Stuttgarter Talkessel und wieder zurückfahren. Eine Messehalle in Freiburg wurde in eine regennasse zweispurige Fahrbahn verwandelt, an die 30 fahrtaugliche Autos dort platziert.

Das sieht man dem Film nicht an, er schafft es, die Atmosphäre dieser Ausnahmesituation und der Reaktionen der Betroffenen eindrucksvoll zu vermitteln. Keiner kann entfliehen, auch der Täter nicht. "Das ist ja eigentlich ,Mord im Orient-Express': Ein Ort, wo die Leute nicht wegkommen. Keiner verlässt den Raum", sagt Brüggemann, der das Buch gemeinsam mit Daniel Bickermann verfasst hat. Und so führt der Regisseur die Typenparade von Menschen im Stau vor. Die einzelnen Figuren stellt er - ein feiner inszenatorischer Kniff - durch Lieder vor, die sie im Auto hören. Der Ingenieur hört Metallica, der Familienvater Fatboy Slim, das streitende Paar "Reality" aus "La Boum". Und das ist nicht der einzige Tonfall, der in diesem "Tatort" erfrischend anders ist.

Der Krimi springt zwischen Stau und Tatort hin und her, so bekommt er trotz der Statik des ruhenden Verkehrs einiges an Dynamik. Spannung erwächst aus der Schar der wartenden Verdächtigen. Bei ihnen wird das Thema der eingeschränkten Mobilität zur Metapher für das Leben: Man sitzt fest im Job, in der Familie, in seiner Rolle in der Gesellschaft. Viele ergeben sich, manche versuchen zu entkommen. Lannert nimmt sie sich der Reihe nach vor - vom Chauffeur bis zur Mutter mit Kind. Derweilen wird im Stau gekifft, gestritten, gepöbelt - und auch gelogen. Denn einer muss ja die Unwahrheit sagen. Womit wir beim Finale wären. Das wird nicht verraten, nur so viel: Hier geht dem originell-komödiantischen Krimi leider ein wenig die Puste aus.

 

ARD, Sonntag, 20.15 Uhr: "Stau".