Seelendrama voll dramatischer Wucht

01.07.2008 | Stand 03.12.2020, 5:47 Uhr

Müßiggänger Eugen Onegin in einem Heer von Tatjanas: Jochen Kupfer ist in Nürnberg in der Titelrolle zu erleben. - Foto: Bührle

Nürnberg (DK) Ganz so diabolisch ist dieser Schnösel Onegin nun auch wieder nicht, als dass die Amme bei seinem ersten Auftritt gleich ein Kreuz schlagen müsste. Oder dass die Regie ihn schwarz gewandet den hell gekleideten Provinzschwestern und dem Freund Lenski entgegenzustellen hätte.

Anne Lünenbürger bewältigte den der Tatjana gewidmeten ersten Akt und die berühmte Szene mit anrührender Pianokultur und Ausbrüchen, die trotz vereinzelter Schärfen als Gefühlsentladungen spürbar wurden. Der zweite steigerte sich zu dramatischer Wucht, nicht zuletzt durch Carsten Süß’ eindringliche Gestaltung des Lenski, der vereinzelte Engen in der Höhe dank souveräner Dosierung vokaler Ausdrucksmittel mühelos zu kompensieren wusste. Szenisch profitierte er von einer überzeugenden Zuspitzung: Als Außenseiter in einer Gruppe von Burschenschaftern wird das Duell mit Onegin zur tödlichen Verpflichtung.

Schlüssig auch Malkowskys Verzahnung des zweiten Akts mit dem dritten, dessen eröffnender Walzer sich zu einer beunruhigenden Traumsequenz Onegins verdüstert. Jochen Kupfer, vom glänzenden stimmlichen Material und der Ausstrahlung her ein idealer Protagonist, ergänzte hier dynamische Schattierungen, die man zuvor, korrespondierend mit seiner etwas steifen Darstellung, ein wenig vermisst hatte. Überstrahlt wurde die letzte Begegnung Onegins mit Tatjana aber durch Stephan Klemms überwältigend dargebotene Gremin-Arie, nobel im Ausdruck, substanzreich in der Basstiefe.

Nürnbergs erster Kapellmeister Guido Johannes Rumstadt lieferte mit den hoch motivierten Nürnberger Philharmonikern einen über weite Strecken sensiblen, die Gefühlswelten ganz in Tschaikowskys Sinn farbig auffächernden Orchesterkommentar. Verunsicherung entstand hin und wieder durch manch extreme Tempoverzögerung, die musikalisch zwar gerechtfertigt, jedoch nicht genügend organisch in einen Spannungsbogen eingebettet war.

Das Publikum bejubelte eine vor allem sängerisch bemerkenswerte Premiere, die letzte unter der Intendanz Wulf Konolds, in der Tara Venditti als Olga und Teresa Erbe als Amme sowie eine ausgezeichnete Chorleistung weitere Glanzpunkte setzten. Der neue Chef Peter Theiler hat mit seinem Spielplan für die kommende Saison (eröffnet wird sie mit Berlioz’ "Benvenuto Cellini") schon erste interessante inhaltliche Schwerpunkte gesetzt. Ob sich die Nürnberger Staatsoper unter seiner Führung von einem qualitativ gediegenen zu einem künstlerisch wirklich spannenden Ort des Musiktheaters entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Das Potenzial ist zweifellos vorhanden.