Salzburg
Mann, Frau, Liebe, Schmerz

Goethes "Clavigo" als jugendliche Popversion bei den Salzburger Festspielen – und mit vertauschten Geschlechtern

28.07.2015 | Stand 02.12.2020, 20:58 Uhr

Salzburg (DK) Als ausgestopfte oder spindeldürre Clowns in vogelwilden Kostümen (von Johanna Pfau) und mit roten Pappnasen treten sie vor den Zirkusvorhang, stotternd, tief schnaufend und bisweilen auch kräftig in der Nase bohrend. Einige Sentenzen aus Goethes Maximen und Reflexionen über das Theater und absoluten Nonsens flüstern und brüllen sie in das mit Nachhalleffekt ausgestattete Mikrofon.

Clavigo, der Archivar des spanischen Königs und Herausgeber einer bedeutenden Zeitschrift, tänzelt zunächst im viel zu engen, prächtig funkelnden Glitzerkleidchen, schließlich im Reifrock als Oberspaßmacher an der Rampe – und natürlich ist dieser Clavigo weiblich. Logisch ist dann auch, dass in dieser aberwitzigen Zirkusvorstellung Clavigos Geliebte Marie Beaumarchais von einem jungen Mann verkörpert wird.

Genau 24 Jahre war Goethe alt, als er in Straßburg die Liebesaffäre mit der Pastorentochter Friederike Brion in Sesenheim beendet und diese Liaison in seinem Jugenddrama „Clavigo“ autobiografisch verarbeitet hatte. Zwar wurde stud.jur. Johann Wolfgang wegen dieses schnöden Affronts gegenüber seiner Geliebten nicht wie die Titelfigur dieser Tragödie nach allerlei Intrigen von Maries Bruder erstochen. Doch den beiden bedingungslos sich verzehrenden Mädchen im Drama und im realen Leben war das Herz allemal gebrochen.

Als Popstar wurde Goethe nicht nur wegen der „Leiden des jungen Werthers“ von den Jugendlichen seiner Zeit verehrt, meinte der Regisseur Stephan Kimmig, sondern auch wegen des ebenfalls 1774 im Druck erschienenen „Clavigo“-Trauerspiels. Was also liegt näher, als diese Herz-Schmerz-Tragödie in die heutige Jugendkultur zu transferieren? Aufgesetzt heitere, in Wirklichkeit jedoch traurige Clowns im ausgeflippten Outfit sind sie hier alle, Protagonisten der sich bespaßenden „no future“-Generation. Illusionslos klammern sie sich an Hoffnungen, wohl wissend, wie schnell diese zerplatzen – wie der abgestürzte Heißluftballon auf der Bühne (von Eva-Maria Bauer), in den die Figuren immer wieder hineinkriechen und ernüchtert herauskommen.

In einer wunderlichen Mischung aus elegischen Szenen hinter der Folie der schrullig abschnurrenden Kasperliade und dem überhitzten Pathos samt überbordender Gestik von Schulaufführungen rauscht diese Liebestragödie von 1774 für Jugendliche von 2015 über die Bühne des Salzburger Landestheaters. Dazu reichlich Trash, Video-Einblendungen und harter Rock (leider vom Band) der Münchner Kultband Pollyester. Vor allem Susanne Wolff als wankelmütiger Karrierist Clavigo und der smarte Marcel Kohler als Marie Beaumarchais mit traurigen Augen und wildem Blick sind jugendliche Identitätsfiguren par excellence.

Die Reaktionen des mit reichlich Schauspielprominenz durchsetzten Salzburger Premierenpublikums fielen denn auch höchst unterschiedlich aus: Jubel über Jubel der U-20-Zuschauer und Kopfschütteln samt kerniger Buhs der eingefleischten Goethe-Fans.

Weitere Aufführungen heute und am 31. Juli sowie am 2., 4., 6., 7. und 9. August. Karten unter: www.salzburgfestival.at.