Das
Hinreißendes Psychodrama

07.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:40 Uhr

Primadonna assoluta: Anna Netrebko gibt derzeit die Aida in Giuseppe Verdis Oper bei den Salzburger Festspielen. Eben dort feierte die russische Sopranistin 2002 ihren internationalen Durchbruch. - Foto: Gindl/AFP

Salzburg (DK) Das Debüt von Starsopranistin Anna Netrebko als Aida in Giuseppe Verdis gleichnamiger Oper ist bei den Salzburger Festspielen stürmisch gefeiert worden. Inszeniert wurde Verdis wohl populärste Oper von der iranischen Multikünstlerin Shirin Neshat.

Keine Elefanten und keine Pyramiden waren Riccardo Mutis Bedingungen, das Dirigat bei der Neuproduktion von Giuseppe Verdis Schmachtoper "Aida" beim Festival an der Salzach zu übernehmen. Und die iranisch-amerikanische Performancekünstlerin und Filmemacherin Shirin Neshat hielt sich strikt an diese Forderung und inszenierte in ihrer ersten Opernregie ein von allen Klischees aus dem Reich der Pharaonen radikal entschlacktes Psychodrama über die verhängnisvolle Liebe der in ägyptischer Gefangenschaft geratenen äthiopischen Königstochter Aida, die sich in den ägyptischen Heerführer Radames verliebt. Pech nur, dass die ägyptische Königstochter Amneris ebenfalls Radames anhimmelt, was die Intrigen und Eifersüchteleien der beiden Frauen samt ihrem jeweiligen Anhang ganz gewaltig in Fahrt bringt.

Als Radames sich dazu hinreißen lässt, Aida den Standort seiner im neuerlichen Krieg gegen Äthiopien stehenden Soldaten zu enthüllen, wird er wegen Geheimnisverrats von der fundamentalistischen Priesterkaste zum Tod durch Einmauern verurteilt. Doch in ihrer verzehrenden Liebe gesellt sich Aida zu ihm, während Amneris die Götter vergeblich um Frieden anfleht und dabei zusammenbricht.

Ohne Pomp und Prunk, ohne Palmen und Pathos, ohne die üblichen Effekthaschereien und Ausstattungsorgien, ohne monströse Massenauf- und -abmärsche über einschüchternd majestätische Treppen lässt Shirin Neshat auf der Cinemascopebühne des Festspielhauses diese tragische Lovestory spannungsgeladen abrollen. Eine mit Bezügen zur aktuellen Flüchtlingsproblematik klug angereicherte, psychologisch bis ins Feinste ausgelotete Dreiecksgeschichte als packendes Drama über die Seelen- und Gefühlslagen von Liebenden unterschiedlicher ethnischer Herkunft.

Vom Bühnenbildner Christian Schmidt ließ sich die Regisseurin Shirin Neshat daher auch keine Protzarchitektur bauen, sondern stattdessen hohe weiße Wände und klaustrophisch leere Räume, die das Gefangensein der Individuen in den gesellschaftlichen und hierarchischen Konventionen und in den von religiösen Fundamentalisten manifestierten Gesetzen eindringlich symbolisieren. Schade nur, dass die Protagonisten vor diesem zur Eiseskälte erstarrten Bühnenbild meist an der Rampe agieren müssen.

Doch zu Festspieljuwelen gerieten die musikalischen und sängerischen Leistungen. Allen voran Anna Netrebko in der Partie der in grenzenloser Liebe zu Radames entbrannten Sklavin Aida. Eine Stimme, die elektrisiert, und eine Bühnenpräsenz, die fasziniert. Allein, mit welcher Intensität und ergreifender Dramatik sie in ihrem Rollendebüt die Klage der nach Ägypten verschleppten Königstochter ebenso anrührend wie inbrünstig gestaltete, ist phänomenal. Und schier herzzerreißend geriet ihr die ungemein innig gesungene Arie Aidas, in ihre geliebte Heimat Äthiopien nicht mehr zurückkehren zu können. Großartig auch Ekaterina Semenchuk, die mit ihrem zum Hinschmelzen schönen Mezzosopran die Partie der Amneris imposant ausfüllte. Und prachtvoll das Duett der beiden Rivalinnen, bei dem sie ihre enttäuschten Hoffnungen und seelischen Verletzungen anrührend austauschen.

Dazu Luca Salsi, der als Äthiopiens König und Aidas Vater mit seinem dramatisch gefärbten Bariton weitaus mehr überzeugte als der in Stimme und Statur etwas zu blasse Roberto Tagliavini in der Partie des ägyptischen Königs, während Francesco Meli als Radames seine Tenorpracht für das Schlussduett mit Anna Netrebko aufsparte. Brillant dagegen Dmitry Belosselskiy als bassgewaltiger fieser Oberpriester und der großartige Chor der Wiener Staatsoper.

Hinreißend geriet auch Riccardo Mutis Dirigat. Keinen musikalischen Schmachtfetzen, keinen Verdi-Schwulst zelebrierte der 76-Jährige, sondern er animierte die Wiener Philharmoniker zu einem fein ziselierten Wechselbad aus zarten, bisweilen geradezu hingehauchten Pianissimo-Tönen und einem musikalischen Rausch voll Dynamik und Virtuosität. Selbst der Triumphmarsch, ansonsten in lärmendes Fortissimo getaucht, ließ Riccardo Muti dezent und doch aufwühlend aus dem Orchestergraben strömen.

Am Ende Jubel über Jubel des mit reichlich Prominenz aus Politik, Wirtschaft, Kunst und Gesellschaft reichlich durchsetzten Premierenpublikums, freilich auch einige markante Buhs für die ganz auf szenischen Minimalismus eingeschworene Regisseurin.

 

Alle Aufführungen sind bereits seit Langem restlos ausverkauft. Doch ORF 2 und Arte senden am Samstag, 12. August, um 20.15 Uhr ebenso eine Aufzeichnung wie das ZDF am Montag, 25. August, um 23 Uhr.