Salzburg
Ganz großes Kino

Bei der Premiere von Schostakowitschs "Lady Macbeth von Mzensk" in Salzburg wird besonders Mariss Jansons gefeiert

03.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:41 Uhr

Salzburg (DK) So etwas Drastisches hatte man bis zu Beginn der 1930er-Jahre noch nie im Theater gehört: die philharmonische Illustration eines gewaltsamen Beischlafs, fast einer Vergewaltigung. Aus einer erotisch aufgeladenen Atmosphäre aus düsteren Streichern entwickelt sich immer lauter ein vor Spannung fast explodierender stakkatohafter Rhythmus, der schließlich in Posaunen-Glissandi kulminiert -  die postkoitale Erschlaffung charakterisierend.

Eine starke Musik, die Schostakowitsch da komponiert hat für seine Oper "Lady Macbeth von Mzensk". Aber wie geht man damit um, mit diesem unverhohlenen sexuellen Exzess?

Andreas Kriegenburg versteckt sich in seiner Inszenierung, die jetzt bei den Salzburger Festspielen im Großen Festspielhaus Premiere hatte, nicht hinter Symbolen und Metaphern. Er bleibt direkt, realistisch. Der Arbeiter Sergej nimmt sich, was er haben will in dieser vor sexueller Begierde triefenden Szene. Er bricht den Willen der erotisch ausgehungerten Kaufmannsfrau Katerina, bis sie jeden Widerstand aufgibt und sich selber hemmungslos hingibt. Nina Stemme und Brandon Jovanovich spielen und singen das mit unvorstellbarer Intensität, mit maximalem Körpereinsatz. Sie winden und quälen sich durch das Schlafzimmer, er versucht sie zu fesseln, nimmt sie von hinten - bis ihr Widerstand in Leidenschaft umspringt.

Kriegenburg tut gut daran, jeden Filter, alle gekünstelten Manöver zu vermeiden. Gerade der blanke Naturalismus ist hier das Ereignis, der Skandal. So kann man vielleicht bedauern, dass er für diese großartige Oper keinen intellektuellen Überbau, keine allumfassende Metapher liefert. Dafür ist man von der psychologischen Wucht dieser Regie überwältigt.

Schostakowitschs Musik ist dabei nicht immer so naturalistisch wie in dieser Szene. Sie ist vielmehr voller Anspielungen, Tänzen und Märschen, Fugen und fast romantischen Arien. Es ist eine Musik, die überspitzt, ironisiert, karikiert. Die Geschichte ist tragisch, aber die Musik ist fast bösartig satirisch. Es wird immer wieder gelacht in dieser Komposition, aber immer ist das Lachen, hämisch, ausgrenzend.

Kriegenburg bleibt da in seiner Inszenierung zurückhaltender, die Satire der Musik greift er nur maßvoll auf. Er macht die Figuren nicht sofort lächerlich. Dadurch ist seine Erzählweise mitreißend, psychologisch verständlich. Aber ein wenig fühlt man sich auch wie beim kleinen Fernsehspiel. Der Regisseur und sein Bühnenbildner Harald B. Thor haben einen naturalistischen, heruntergekommenen Innenhof eines Wohnblocks im Stil des russischen sozialistischen Realismus aufgebaut. Die verwinkelte Treppenarchitektur ist bröckelig, der Betonboden sandig, überall liegen Röhren und Arbeitsgerät herum. Wie Schubladen lassen sich die Innenräume rechts und links herausfahren und bieten Einblick in die wohlsituierte Arbeits- und Schlafräume der Kaufmannsfamilie. Hier, vor Blümchentapete und zerwühlten Bettlaken, spielt sich die Tragödie der Katarina ab, die, von ihrem Mann vernachlässigt, sich auf den Arbeiter Sergej einlässt, den Schwiegervater mit Rattengift umbringt, als er von dem Ehebruch erfährt und später den von einer Dienstreise zurückkehrenden Ehemann Sinowi. Das Drama endet in der Strafkolonie. Katarina, inzwischen von Sergej verlassen und verhöhnt, bringt sich und dessen Geliebte um.

Es ist selbst mit den heutigen dramatischen Mitteln schwierig, die Brutalität dieser Gesellschaft auf der Bühne fassbar zu machen. Kriegenburg greift zu den Mitteln des Realismus und schafft ein kinomäßig packendes Drama. Und seine Darsteller lassen sich darauf ein, am meisten die große Wagner-Sopranistin Nina Stemme als Katerina, die ihre Partie keineswegs nur brüllt, sondern mit zarten Tönen die Brüchigkeit ihres Lebensgefühls, ihre Not sinnfällig macht. Kaum weniger großartig Brandon Jovanovich als schlaksiger-bösartiger Beau Sergej und Dmitry Ulyanov als herrischer Boris.

Die eigentliche Sensation ist aber eine Etage weiter unten im Orchestergraben zu finden. Der 74-jährige Mariss Jansons, Leiter des Bayerischen Rundfunksinfonieorchesters, gibt am Dirigentenpult der Wiener Philharmoniker sein Dirigentendebüt bei den Salzburger Festspielen. Ganz entsprechend der Regie von Kriegenburg greift er auch eher vorsichtig zu den Mitteln der schrillen Überzeichnung. Vielmehr behält er die Effekte zwischen ätzender Karikatur und wohliger philharmonischer Kraftentfaltung immer im Gleichgewicht. In den letzten Takten scheint der völlig entfesselte Orchesterklang überschwänglich das Tragödienschicksal ins Allgemeine zu heben. Begeisterter Beifall am Ende, vor allem von Jansons und Nina Stemme und sogar für das Regieteam.