Salzburg
Entfesselter Geschlechterkampf

Wolfgang Rihms "Die Eroberung von Mexico" als erste Opernpremiere bei den Salzburger Festspielen

27.07.2015 | Stand 02.12.2020, 20:59 Uhr

Salzburg (DK) Mutig ist es allemal, keine Publikumsoper nach dem unverzichtbaren „Jedermann“ und der mehrtägigen „Ouverture spirituelle“ zum eigentlichen Auftakt der ansonsten so glamourösen Festspiele an der Salzach zu präsentieren. Kein Mozart, kein Verdi, kein Richard Strauss, sondern ein ebenso äußerst anspruchsvolles wie schwierig zu realisierendes Werk der musikalischen Avantgarde, das ganz gewaltig an den Nerven zerrt: Wolfgang Rihms 1992 in Hamburg uraufgeführte „Die Eroberung von Mexico“. Ein Highlight für Gourmets zeitgenössischer Opern in einer höchst beeindruckenden Aufführung in der Salzburger Felsenreitschule.

In fahles Licht sind Bühne und Zuschauerraum getaucht. Suchscheinwerfer leuchten die aus den Felsen des Mönchsberges geschnittenen Arkaden gespenstisch aus, bis das Licht auf einen Autofriedhof mit gut zwei Dutzend demolierten Straßenkreuzern fällt, auf dem ein in gleißendes Weiß getauchtes Wohnzimmer im Stil der 1950er Jahre thront (Bühnenbild: Johannes Leiacker): die ach so heile Welt auf den Fundamenten der von Menschen zerstörten Ordnung. Eine von Wolfgang Rihm (Musik und Libretto) geschaffene furiose Antikriegsparabel, die mit dem historischen Hintergrund der Zerstörung des Aztekenreiches durch den brutalen spanischen Eroberer Hernán Cortez den Kampf zwischen Mann und Frau thematisiert.

Was ist faszinierender an diesem Opernwerk: die phänomenale musikalische Umsetzung dieser zum entfesselten Geschlechterkampf mutierten historischen Tragödie oder die mit reichlich Symbolismen und Assoziationen durchtränkte Inszenierung? Zu einem Gesamtkunstwerk ist diese Neuinszenierung dank der vielschichtigen Komposition und der überzeugenden Inszenierung von Peter Konwitschny geraten, die in wohl die Annalen des zeitgenössischen Musikschaffens eingehen wird.

Ergänzend zum Orchestergraben sind auf drei Podien links und rechts und oberhalb des Zuschauerraums Schlagzeug und Bläser platziert, zwei Geiger spielen zwischen den Crash-Autos, und ein Männerchor, im Publikum verteilt, erhebt seinen markant-bewegenden Gesang, wenn der brutale Kampf zwischen Mann und Frau tobt und die in Videos gezeigten Kriegsgräuel überhandnehmen. In eine surrealistische Albtraumwelt tauchte Konwitschny dieses Beziehungschaos, bei dem Cortez in ekstatischen Bewegungen Nosferatu gleicht und die Figur des weiblichen Montezuma als Mischung aus Heimchen am Herd und Femme fatale agiert.

Vor allem jedoch zieht Wolfgang Rihms Komposition gewaltig in den Bann: Fein ziselierte Geigenklänge wechseln mit dröhnenden Trompeten- und Posaunenstößen, mit furiosem Trommelwirbel und mitunter ohrenbetäubendem Schlagzeugstakkato im Orchestergraben und auf den drei Podien ab. Unterbrochen wird dieser infernalische Klangrausch von Windmaschinen, hechelnden Atemstößen und Sprachfragmenten zweier Sprecher, die das Motto des Stückes, „neutral, männlich, weiblich“, umkreisen. Und schließlich das Flüstern und die markerschütternden Schreie des Frauenchors.

Eine vom ORF-Radio-Symphonieorchester unter Ingo Metzmachers vitaler Leitung ungemein betörendes Musikerlebnis, das das Aufeinanderprallen der spanischen und aztekischen Kultur und Religion auf den zunehmend aggressiver werdenden Kampf zwischen Mann und Frau höchst beeindruckend überträgt. Furios vor allem Angela Denoke als Montezuma, die geradezu atemberaubend die schrillsten Spitzentöne dieser Partie meisterte, und Bo Skovhus, der mit baritonaler Gewalt den spanischen Eroberer Cortez verkörperte. Dazu Susanna Andersson und Marie-Ange Todorovitch als Montezumas Alter Ego und der hochdramatisch agierende und singende 30-köpfige Männerchor.

Stürmischer Premierenapplaus für alle Beteiligten und den anwesenden Komponisten. Eine für Salzburger Festspielverhältnisse so ungewöhnliche wie mitreißende Opernproduktion.

Weitere Vorstellungen am 29. Juli sowie am 1., 4. und 10. August. Karten unter www.salzburgfestival.at